Stichtag

15. Januar1797: John Hetherington wegen Zylindertragens verhaftet

Am 15. Januar 1797 ereignet sich in London ein kleiner Skandal: Der Hutmacher John Hetherington verlässt am helllichten Tag sein Haus mit einem selbst gefertigten Seiden-Zylinder auf dem Kopf. Sein Anblick löst einen Auflauf aus, ein großes Gedrängel, bei dem sogar einige Beteiligte, darunter ein Kind, verletzt werden. So sagen es die Gerichtsakten. Denn Hetherington wird von der Straße weg verhaftet und später wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu einer Geldstrafe von 50 Pfund verurteilt.Der Londoner Hutmacher ist angeblich der erste, der einen Zylinder in der Öffentlichkeit trägt. Was wahrscheinlich als Werbeaktion gedacht ist, wird offensichtlich als eine rebellische Tat verstanden. Denn ein "hoher Hut" ist ein revolutionäres Symbol: Die Jakobiner der französischen Revolution tragen hohe Hüte, ebenso die Freimaurer. In Amerika ist der Zylinder als "Quäker-" oder "Puritanerhut" bekannt und wird die Kopfbedeckung der Fortschrittlichen. Deshalb heißt er in England bald "Demokratenhut".

Solch ein Hut ist eine bürgerliche Anmaßung, denn hohe Hüte sind ursprünglich Herrschaftszeichen: Der Papst trägt die Tiara, der Kardinal den Kardinalshut, der Bischof die Mitra, der Doktor bekommt den Doktorhut verliehen. Erst einige Jahrzehnte nach Hetherington beginnen immer mehr Bürgerliche Zylinder zu tragen. Die Revolutionäre auf den Barrikaden von 1848 in Deutschland tragen Kalabreser mit breiter Krempe und Feder. Deshalb werden diese Hüte zeitweise verboten. Der Maler Adolph von Menzel behält den Zylinder demonstrativ auf dem Kopf, als ihm der preußische Adlerorden verliehen wird. Im Laufe des 19. Jahrhunderts avanciert der Zylinder mit dem Aufstieg des Bürgertums zur Kopfbedeckung des Establishments. So ist der Hut, der John Hetherington noch vor Gericht bringt, hundert Jahre später schon ein Kleidungsstück der Reaktion.

Stand: 15.01.07