Stichtag

05. Juni 2006 - Vor 90 Jahren: Karl August Lingner stirbt

Der geknickte Seitenhals macht die Odol-Flasche unverwechselbar. Sie enthält eine Mischung aus Wasser, Alkohol, Pfefferminze, Menthol, Anis, Nelkenöl und Lavendel. Die Essenz bekämpft Geruchsbakterien bis in den Rachen - verspricht Karl August Lingner, Begründer des Odol-Imperiums. Das 1893 entwickelte Produkt des Dresdner Industriellen kommt zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt. Gesundheit und Hygiene sind das Zukunftsthema schlechthin: Gerade hat Robert Koch den Tuberkulose-Bazillus erforscht und an der Dresdner Technischen Universität ist ein Lehrstuhl für Hygiene eingerichtet worden. Die Odol-Rezeptur liefert der Chemiker Professor Richard Seifert, die Werbeabteilung der Lingner-Werke sorgt für eine ausgefeilte Marketingstrategie, die das Produkt weltweit bekannt macht. Lingner wird zum Multimillionär. Er ersteht 1906 in Dresden ein Elbschlösschen, das inzwischen seinen Namen trägt. Darin steht die Lingersche Orgel, auf der er sonntags für seine Freunde musiziert. Seinen adeligen und prominenten Gästen präsentiert der Odol-König, wie er in Dresden heißt, von der Terrasse aus Stadt, Schloss und Fluss. 

Karl August Lingner hat einen rasanten sozialen Aufstieg hinter sich. Geboren wird er am 21. Dezember 1861 in Magdeburg. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen. Der Vater ist Handelsagent, sein Sohn lernt Kaufmann. Nach einem erfolglosen Versuch, am Pariser Konservatorium Musik zu studieren, schlägt er sich als Vertreter durch, wird offenbar krank und landet 1885 mittellos in Dresden. Zusammen mit Georg Wilhelm Kraft gründet er die Firma Lingner & Kraft, die in einer Gartenlaube technische Neuerungen herstellt. Darunter sind ein Wasch- und Frottierapparat und ein Senftopf mit Pumpvorrichtung. Doch erst nach der Trennung von seinem Partner gelingt Lingner mit Odol der Durchbruch. Er entwickelt außerdem einen Desinfektionsapparat, bekämpft die Säuglingssterblichkeit und gründet eine Zentralstelle für Zahnhygiene. Sein Lebensprojekt wird die erste Internationale Hygiene-Ausstellung von 1911, die 5,5 Millionen Menschen besuchen. Zu sehen sind lebende Bakterien unter Mikroskopen und Wachsmodelle des menschlichen Körpers. Besonders beachtet wird die Abteilung, die Geschlechtskrankheiten in all ihren Stadien zeigt. Eine Million Goldmark Reingewinn wirft die Schau ab.

Das Privatleben Lingners ist unstet. Mit der Hofschauspielerin Julia Serda hat er eine Tochter, einer Schweizer Gräfin macht er erfolglos den Hof. Offenbar gilt er als nicht standesgemäß, denn der Adelstitel, um den er sich bemüht, wird ihm von Kaiser Wilhelm II. verweigert. Lingner, der leidenschaftlich Zigarren raucht, erkrankt an Zungenkrebs. Er stirbt am 5. Juni 1916 an den Folgen einer Operation, bei der die Zunge entfernt wurde. Das von Lingner angeregte Dresdner Hygiene-Museum existiert immer noch. Odol wird inzwischen in Düsseldorf produziert und gehört zu einem internationalen Konzern.

Stand: 05.06.06