Stichtag

04. Januar 2006 - Vor 70 Jahren: Erstmals wird eine Hitparade veröffentlicht

Der US-amerikanische Jazz-Trompeter und -Posaunist Tommy Dorsey ist glücklich. Seine Plattenfirma hat seine Aufnahme "The Music Goes Round" zum Spitzenreiter ihrer musikalischen Produktionspalette gekürt. In der Fachzeitschrift "Billboard" wird das Ergebnis abgedruckt. Nun darf Dorsey darauf hoffen, öfter als sonst im Radio gespielt und zu Auftritten in Nachtclubs und Musikkneipen engagiert zu werden. Allerdings wird es für ihn etwas eng auf dem Siegertreppchen. Da es drei namhafte US-Plattenfirmen gibt und alle ihren Favouriten nennen durften, muss er sich den ersten Platz mit zwei anderen Kollegen teilen.Als "Billbord" am 4. Januar 1936 die erste Hitparade der Musikgeschichte veröffentlicht, dienen die Angaben vor allem zur Orientierung für Händler, Rundfunksender und Plattenfirmen. Erst mit der Geburt einer eigenen Jugendkultur in den fünfziger Jahren wird die Platzierung auch für den Endverbraucher interessant. In Deutschland macht das Jugendmagazin "Bravo" 1956 mit der "Musikbox"-Liste den Anfang, das Fernsehen folgt im Januar 1969 mit der "Hitparade", in der der ehemalige Autoverkäufer und Schnellsprachkünstler Dieter-Thomas Heck als Kult-Moderator für das "Zett-De-Eff" die Ansagen macht. Damals wie heute ist das Marktforschungsinstitut Media Control im Auftrag des Bundesverbandes Phono der Herr der Ränge. Es ermittelt aus den Verkäufen von 2.200 registrierten Händlern die (nicht repräsentativen) Spitzenreiter.

Die Werbefunktion bleibt trotz des Hangs zur wissenschaftlichen Marktanalyse für die Plattenindustrie erhalten. Besonders deutlich wird dies, als der Produzent David Brandes 2005 durch Massenkäufe eigener Single-Produktionen seinen Star Gracia auf Platz 1 der Charts katapultiert. Der Betrug fällt auf, die deutsche Musikbranche hat ihren Skandal – und einen unbelehrbaren Helden, der die vermeintlich dunklen Machenschaften der Branche aufdeckt. "Ich betrüge die Charts nicht", behauptet Brandes kühn. "Würde ich anders handeln, würde ich meinen Künstlern einen Wettbewerbsnachteil verschaffen, weil ich denke, dass es zumindest ziemlich viele machen".Der verhinderte Wettbewerbsnachteil indes hilft Gracia wenig. Zwar schafft sie es mit dem Lied "Run and Hide" zum Eurovision Song Contest nach Kiew. Dort aber wird sie in der Hit-Parade letzte.Stand: 04.01.06