Nach jüngsten Umfragen halten die Franzosen Francois Mitterrand für den bedeutendsten Präsidenten der Fünften Republik - noch vor Charles de Gaulle. Dabei hat der Sozialist und Duzfreund von Helmut Kohl keinen Skandal ausgelassen. Die "Sphinx", wie Mitterrand genannt wurde, führte ein Doppelleben: Anfang der 70er Jahre legt er sich eine Zweitfamilie zu. Bis kurz vor seinem Tod erfährt die Nation aber nichts von seiner Geliebten und der gemeinsamen Tochter Mazarine. Der um seinen Ruf besorgte Papa lässt als Präsident systematisch die Telefone seiner Kontaktpersonen abhören, um sicher zu gehen, dass niemand darüber Bescheid weiß. "In der Ausübung der Macht bestand zwischen den Königen und Francois Mitterrand kein großer Unterschied", sagt der Pariser Buchautor und Verlagsdirektor Thierry Pfister. "Der Herr befiehlt, er gewährt, er delegiert."Schon der kleine Francois, der am 26. Oktober 1916 im westfranzösischen Jarnac geboren wird, ist keineswegs unbescheiden. Papst wolle er werden oder - wenn das nicht gehe - zumindest Staatspräsident. Katholisch-bürgerlich erzogen, übt er sich schon in der Schule als Anführer. Ab 1934 studiert er in Paris Politik, Recht und Literaturwissenschaft. Er liebäugelt mit der extrem monarchistischen Rechten. 1939 wird er zum Kriegsdienst eingezogen und gerät als Unteroffizier in deutsche Gefangenschaft. Mitterrand kann fliehen und arbeitet 1942 für das Vichy-Regime unter Marschall Henri Philippe Pétain, der offen mit den Nazi-Besatzern kollaboriert. Aber Mitterrand wechselt rechtzeitig die Fronten und schließt sich der Résistance an. Als Frankreich im Sommer 1944 befreit wird, steht er auf der Siegerseite und kann als sozialistischer Politiker in verschiedenen linken Parteien Karriere machen. 1954, während des Algerienkrieges, stellt er sich als Innenminister hinter die französische Kolonialpolitik. Auch zwei Jahre später als Justizminister regiert Mitterrand mit harter Hand. Damals werden die meisten Todesurteile während des gesamten Algerienkrieges vollstreckt.
14 Jahre lang krebskrank
Auf dem Weg nach oben hält Mitterrand Kontakt zu René Bousquet, der als Vichy-Polizeichef für die Deportation von mehr als 12.000 Juden mitverantwortlich war. Nach der Enthüllung ihrer Freundschaft rechtfertigt sich Mitterrand im französischen Fernsehen: "Wenn wir nicht aufhören, all die dunklen Seiten der Geschichte wachzurufen, in denen sich Franzosen zerfleischt haben, dann verhalten wir uns nicht so, wie es sich Frankreich gegenüber gehört." 1981 ist es soweit: Bei der Präsidentschaftswahl siegt Mitterrand über Giscard d'Estaing. Mitterrands Reformschub lässt die Linke träumen: Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, Sonderabgaben für Großverdiener, Verstaatlichung von Großbanken und Konzernen, Abschaffung der Todesstrafe. Wenige Monate nach Amtsantritt gibt es ein weiteres Staatsgeheimnis: Mitterrand ist krebskrank. Die Ärzte geben ihm maximal drei Jahre. Es werden 14 Jahre - ohne dass die Franzosen bei seiner Wiederwahl 1988 etwas ahnen.
Auch außenpolitisch setzt Mitterrand Akzente: 1984 ergreift er vor den Kriegsgräbern in Verdun mit seiner linken Hand die Rechte Helmut Kohls: als Symbol der Versöhnung der einstigen Erzfeinde. Innenpolitisch wird die Luft allerdings rasch dünner. Kritiker werfen ihm Misswirtschaft und Korruption vor. Mitterrand habe "in seinem Umfeld ein Netz dubioser Geschäftspraktiken entstehen lassen", behauptet Untersuchungsrichter Jean-Thierry Pierre. Mitterrand gelingt es stets, seine Hände in Unschuld zu waschen. Er stirbt am 8. Januar 1996 in Paris.
Stand: 26.10.06