Stichtag

25. Juli 2006 - Vor 5 Jahren: Banden-Chefin und Politikerin Phoolan Devi ermordet

Die Mörder kommen in der Mittagspause. Phoolan Devi, indische Parlamentsabgeordnete der linken Samajwadi-Partei, ist unterwegs zu ihrer Wohnung im Zentrum von Neu-Delhi, nur wenige Minuten vom Parlament entfernt. Vor dem Gartentor tauchen plötzlich drei maskierte Männer auf und eröffnen das Feuer. Der Polizist, der die Abgeordnete schützen soll, muss zusehen, wie drei Schüsse Devi in den Kopf treffen. Sie ist sofort tot. Der Mord an der Abgeordneten bewegt ganz Indien. Beide Häuser des Parlaments vertagen ihre für den Nachmittag geplanten Sitzungen. In ihrem Wahlkreis gibt es Protestkundgebungen und Massenstreiks. Devi wird als "Königin der Banditen" und Inkarnation der Rache-Göttin Druga verehrt. Sie ist mit dem Film "Bandit Queen" des indischen Regisseurs Shekhar Kapur 1994 weltberühmt geworden. Bereits damals ist die "Göttin der Blumen", wie ihr Hindi-Name auf deutsch heißt, eine Legende: Sie ist die erste Frau aus einer unteren Kaste, die es gewagt hat, gegen die jahrtausendealten Ungerechtigkeiten des Kastensystems aufzubegehren und grausame Rache zu nehmen.

Phoolan Devi wird vermutlich am 10. August 1963 geboren. Das Leben des Bauernmädchens ist von Anfang an durch Gewalt geprägt. Ihre Familie gehört zur Kaste der Mallahs, der Ärmsten der Armen in den abgelegenen Dörfern Nordindiens. Mit elf Jahren wird sie an einen 40 Jahre alten Witwer verkauft, der sie missbraucht und dem sie zu jung ist. Mit 14 Jahren kehrt sie als verstoßene Frau in ihr Dorf Behami zurück. Sie gilt als entehrt und damit als Freiwild für kastenhöhere Männer. In Phoolans Dorf herrschen die landbesitzenden Thakurs, die die unteren Kasten mit der Waffe unterdrücken. Phoolan wird geprügelt und im Haus ihrer Eltern von einer Gruppe junger Männer vergewaltigt. Mit 16 Jahren wird sie von Banditen entführt. Sie verliebt sich in den Anführer Vikram und lebt mit ihm in den Schluchten des Chambal-Tals. Doch dann wird Vikram von rivalisierenden Thakur-Banditen erschossen. Sie schleppen Phoolan in ihr Dorf, halten sie dort wochenlang gefangen, vergewaltigen sie immer wieder und treiben sie unter Gejohle nackt über den Dorfplatz - bis sie fliehen kann.

Devi schwingt sich zur Anführerin einer Räuberbande auf, die nach eigenen Angaben nur Reiche überfällt. Zusammen mit ihren Männern kehrt sie im Februar 1981 nach Behami zurück. Die Bande plündert und erschießt bei einem Massaker 20 Männer der Thakurs. Zwei Jahre lang wird Devi von der Polizei gejagt. 1983 ergibt sie sich freiwillig in einer opernhaft inszenierten Zeremonie. Phoolan avanciert zum Medienstar - und geht für elf Jahre ins Gefängnis, obwohl ihr nie der Prozess gemacht wird. 1994 wird sie überraschend freigelassen: Die Heldin der Entrechteten soll im Wahlkampf um die Stimmen der unteren Kasten werben. Zwei Jahre später zieht Devi ins Parlament ein. Als Abgeordnete kann sich die Analphabetin allerdings nicht durchsetzen. Dennoch bringt sie es zu bescheidenem bürgerlichen Wohlstand: "Manchmal frage ich mich selbst: Träume ich oder ist das jetzt real?" Der Traum währt nicht lange: Am 25. Juli 2001 wird er durch die Schüsse ihrer Mörder abrupt beendet. Die Täter sollen Thakurs aus Behami gewesen sein.

Stand: 25.07.06