Über Jahrhunderte wollte niemand mehr etwas von ihm hören. Antonio Vivaldi, das war für die Generation der Urgroßeltern nur irgendein unbedeutender Tonsetzer des entschlummerten Barock. Dann, 1926, räumt ein verarmtes Kloster im Piemont seinen Dachstuhl leer und findet in den Resten der alten Bibliothek 14 Bände mit bislang unbekannten Kompositionen des Venezianers. Seither ist Vivaldi wieder in aller Ohren, allerorten, allerzeit. Seine "Vier Jahreszeiten" sind bekannt wie Mozarts "Kleine Nachtmusik" und jeder mag prüfen, ob sich nicht auch das eigene Handy mit Vivaldi-Klängen meldet. Über 500 Konzerte hat der Meister geschrieben, die meisten für das Instrument seiner Jugend, die Geige.Am 4. März 1678 hasten die Menschen in wilder Panik durch Venedigs Gassen und Kanäle, denn unter ihren Füßen bebt die Erde. Inmitten des Chaos kommt es im Haus des Orchestergeigers von San Marco, Giovanni Baptista Vivaldi, zu einer Frühgeburt. Der schwächliche Knabe überlebt und erbt von seinem Vater nicht nur musikalisches Talent, sondern auch dessen höchst ungewöhnlichen roten Haare. Il Rosso - der Rote, so werden beide von ihren Zeitgenossen genannt. Anders als der Vater, der sein Geld auch als Barbier verdient, lässt sich Antonio Vivaldi im März 1703 zum Priester weihen. Doch Zölibat und Messen lesen sind seine Sache nicht. Lieber unterrichtet "il prete rosso " (der rote Priester) Venedigs Töchter im Musizieren, erntet wachsenden Ruhm durch virtuose Konzerte vor erlauchtem Publikum und schreibt Oper auf Oper, von denen uns nur 22 Partituren erhalten geblieben sind.
Mitte der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts erlebt Vivaldi den Höhepunkt seines Erfolgs und kümmert sich um alles. Um Aufführung, Organisation und Verkauf seiner Werke. Gibt umjubelte Gastspiele in Wien, Paris, Mantua und Prag. Vivaldi ist der Andrew Lloyd Webber seiner Zeit. Den Abstieg ins Vergessenwerden leitet ein Standesgenosse, ein Kleriker, ein. 1737 übernimmt der erzkonservative Kardinal Ruffo in Venedig das Kommando über die öffentliche Ordnung und macht Schluss mit Maskenbällen, lockeren Sitten und Opern schreibenden Priestern. In Italien um Ansehen und Einkommen gebracht, sucht der alternde Komponist eine neue Zukunft in Wien, hofft dort auf eine Anstellung in der Hofkapelle Karls VI. Doch als Vivaldi in der Kaiserstadt eintrifft, steht den Habsburgern der Sinn nicht mehr nach Musik. Sein Gönner Karl VI. ist tot, der Österreichische Erbfolgekrieg hat begonnen, der Glücksstern des Antonio Vivaldi ist endgültig verglüht. Nur ein Jahr später stirbt "il prete rosso " völlig verarmt, völlig vergessen und wird noch am selben Tag, dem 28. Juli 1741, auf dem Spittaler Gottesacker in Wien mit kleinem Geläut beerdigt. Amtliche Todesursache: "Innerer Brand".
Stand: 28.07.06