1980 ist der ägyptische Präsident Anwar El Sadat zehn Jahre lang im Amt. Er hat sein Land vorsichtig modernisiert, auf Westkurs gebracht und sogar Frieden mit Israel geschlossen. Dafür wird er von der arabischen Welt isoliert. Sein Land regiert er autoritär. Weil ihm die ägyptische Verfassung keine dritte Amtszeit erlaubt, lässt er sie kurzerhand ändern und macht sich damit praktisch zum Präsidenten auf Lebenszeit, zum neuen "Pharao".Aber Sadat hat Angst, den Bogen damit zu überspannen. Deshalb macht er in der Verfassungsreform ein Zugeständnis an die radikal-islamische Opposition: Er erklärt die Scharia, das islamische Recht, zur einzigen Rechtsquelle in Ägypten. Bisher wurde es nur als eine Quelle der Gesetzgebung unter anderen genannt.Am 22. Mai 1980 tritt die Verfassung in Kraft. In einer Volksabstimmung haben 98,96 Prozent der Wähler ihre Zustimmung gegeben. Im Ergebnis sehen Beobachter eher den Mangel an Demokratie am Nil als die Begeisterung der Bürger dokumentiert. Die neue Verfassung schränkt die Pressefreiheit weiter ein und bringt Sadats Portrait auf alle ägyptischen Briefmarken.
Die Einführung der Scharia ist für Sadat ein strategisches Zugeständnis, kein Programm. Aber je stärker der Islamismus in den folgenden Jahren wird, desto häufiger werden ägyptische Gerichte vor religiöse Fragen gestellt. Sie reagieren darauf bis heute nicht einheitlich. So wird 1993 die Ehe des kritischen Literaturwissenschaftlers Nasr Abu Zaid zwangsgeschieden. Der Vorwurf: Zaid hatte den Koran historisch-kritisch interpretiert. In den Augen der Strenggläubigen ist er deshalb ein Ketzer und seine Ehe ungültig. Zaid und seine Frau Ibtihal Yunis fliehen daraufhin in die Niederlande. Andererseits bestätigt das ägyptische Verfassungsgericht Mitte der 90er Jahre das Kopftuchverbot an einer ägyptischen Universität: Die islamischen Kleidervorschriften seien je nach Ort und Zeit unterschiedlich anzuwenden. Der eigentlich traditionelle islamische Pragmatismus und der unduldsame neue Fundamentalismus ringen in Kairo weiter um die Vorherrschaft.
Sadat hat seine Verbeugung vor der islamischen Opposition nichts genützt. Am 6. Oktober 1981 wird er ermordet - von islamistischen Offizieren seiner eigenen Armee.
Stand: 22.05.05