Eine Privatwohnung in Frankfurt am Main: wackelige Tische, darauf karierte Decken, darum herum eine Handvoll Delegierte aus den vier Besatzungszonen, die Dokumente unterschreiben. Die Zeremonie bei der Gründung des "Zentralrats der Juden in Deutschland" ist äußerst schlicht. Tags darauf, am 20. Juli 1950, meldet die Deutsche Presseagentur, dass ein zentraler jüdischer Dachverband gegründet worden sei. Gegründet wird er "erstens wegen möglicher Auswanderung, zweitens wegen Wiedergutmachung und Entschädigung, drittens, um zu helfen, jüdische Gemeinden wieder zu gründen", sagt Journalist Heiner Lichtenstein. Zudem entsteht eine zentrale Wohlfahrtsstelle, die überregional die soziale Unterstützung von jüdischen Jugendlichen und Senioren koordiniert.Von den ehemals rund 500.000 Juden, die 1933 in Deutschland gewohnt haben, leben fünf Jahre nach dem Holocaust lediglich noch etwa 15.000. "Ich selber habe es ja am eigenen Leib gespürt, wie schwer es mir gefallen ist zu sagen, ich sei deutscher Jude", sagt Schriftsteller Ralph Giordano. "Für uns war selbstverständlich, vor der Befreiung, dass wir nach der Befreiung, sollte sie denn eintreten, auswandern würden." Giordano, der den Holocaust im Untergrund überlebt hat, bleibt dennoch in Deutschland. Manche Juden kehren sogar aus der Emigration zurück - eine Entscheidung, die in der internationalen Gemeinde äusserst umstritten ist. "Es gibt ja ein Gefühl, das heißt Heimweh", sagt der Journalist Lichtenstein. "Es gab Leute, die wollten nach Hause!" Allerdings mit schlechtem Gewissen: Ihren Kindern machen sie vor, sie säßen in Deutschland lediglich auf gepackten Koffern, sozusagen als Entschuldigung für die Rückkehr. Denn eigentlich dachten sie: "Wir können doch nach der Shoah als Juden nicht wieder im Schlachthaus leben", so Lichtenstein.
In den Jahren der kollektiven Verdrängung nehmen die Deutschen vom Zentralrat kaum Notiz. Die jeweiligen Bundesregierungen bemühen sich jedoch um gute Beziehungen zur jüdischen Dachorganisation. So lässt sich dem Ausland demonstrieren, aus der Vergangenheit gelernt zu haben, während gleichzeitig Altnazis wieder auf wichtigen Posten sitzen - in Politik, Justiz und Verwaltung, Schule und Universität. 2003 wird ein Staatsvertrag geschlossen, der das Verhältnis zwischen den jüdischen Gemeinden und der Bundesrepublik erstmals rechtlich regelt. Mittlerweile hat die jüdische Gemeinschaft rund 100.000 Mitglieder. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl vor allem durch Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion verdreifacht.
Stand: 20.07.05