"Sind Sie ein Schlitzohr, sind Sie ein Verbrecher, sind Sie ein Künstler?" Diese Frage stellt der Komiker und Autor Hape Kerkeling dem Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi im Februar 2016. "Ich bin in erster Linie ein Künstler, ein Maler mit hochkriminellen Energien, die ich mal hatte", antwortet der Mann mit den langen Locken und dem Dürer-Bärtchen, der die Kunstwelt über 25 Jahre lang zum Narren hielt.
Um dann zu beweisen, dass er irgendwie doch auch ein Schlitzohr ist. Seine eigenen Werke betrachte er eher als Versuch, bei den großen Meistern der Moderne wie Max Pechstein, Fernand Léger oder André Derain die Lücken zu schließen, gibt er an. Oder deren Malerei zu Ende zu denken: "Ich habe ja keine Bilder gefälscht. Das war ja eine Weiterführung. Ich habe nur die Signaturen gefälscht." Und: "Ich malte Gemälde, die im Werk eines Künstlers eigentlich nicht hätten fehlen dürfen."
Gewinn: 20 bis 50 Millionen Euro
Geboren wird Beltracchi 1951 als Wolfgang Fischer in Höxter. Sein Vater restauriert Kirchenräume, zu Hause malt er Kopien alter Meister. Der Vater ist es auch, der den Sohn in die verschiedenen Techniken und die Geheimnisse bei der Verwendung der Farben einweist. 1992 lernt Fischer Helene Beltracchi kennen, die er heiratet und deren Namen er annimmt. Mit ihr, ihrer Schwester und einem weiteren Komplizen betreibt er später seine Fälscherwerkstatt.
Bei seinen Fälschungen geht Beltracchi äußerst geschickt vor. Er besorgt sich auf Flohmärkten alte Leinwände mit Rahmen. Er entwickelt Methoden zur künstlichen Alterung, liest sich in die Biografie der Künstler ein und studiert deren Briefe. Und er fälscht Galerie- und Ausstellungsetiketten. Wenn Fragen nach der Herkunft kommen, verkleidet er seine Frau "als Oma“, fotografiert sie "mit ein paar Bildern der Sammlung dahinter" verschwommen in Schwarzweiß – und schon haben die Bilder eine Provenienz aus der Vergangenheit, der selbst Experten vertrauen. 20 bis 50 Millionen Euro soll die Bande auf diese Weise erwirtschaftet haben.
Rekordpreis für gefälschten Campendonk
Es ist eine kleine Unachtsamkeit, die Beltracchi das Genick bricht. Verbunden ist sie ausgerechnet mit einer Fälschung seines Lieblingsmalers, des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk. Dessen verschollen geglaubtes und erstaunlich frisch wirkendes Gemälde "Rotes Bild mit Pferden" von 1914 taucht im Jahr 2006 vermeintlich wieder auf: eine Sensation. Beim Kunsthaus Lempertz wird das Bild für den Rekordpreis von 2,88 Millionen Euro versteigert. Der Käufer aber verlangt eine chemische Untersuchung. Und dabei wird Titanweiß nachgewiesen, das dummerweise erst seit 1920 verwendet wird.
Am 2. September 2011 beginnt der Prozess vor dem Kölner Landgericht, in dem der Angeklagte ein ums andere Mal sein Showtalent zum besten geben kann. 40 Verhandlungstage sind es insgesamt, es geht um 14 "Meisterwerke" der Moderne. Dabei ist das Gericht auf Geständnisse angewiesen. Es kommt zu einem Deal: Beltracchi sagt aus, seine Haft wird verkürzt. Sechs Jahre bekommt er offiziell, inzwischen ist er wieder auf freien Fuß. Und malt weiterhin Bilder im Stil der ganz Großen – jetzt aber mit eigener Unterschrift.
So mancher falscher Meister hängt wohl immer noch in deutschen Museen oder in privaten Sammlungen. In Köln ging es ja nur um 14 Bilder. Beltracchi selbst gibt an, "ziemlich genau 230" Werke gefälscht zu haben.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am2. September 2016 ebenfalls an den Prozess gegen Wolfgang Beltracchi. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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