"Weh Euch, Ihr Städte alles Landes Asia! Weh Perserland Dir. … Um kam der Perser ganzes Heer. Gefüllt mit Leichenelend ist Salamis Felsstrand", ruft der Bote in Aischylos Drama "Die Perser", dem ältesten erhaltenen Drama der Welt. Und der Chor antwortet: "Weinet Perser!"
Aischylos schreibt über die legendäre Seeschlacht bei Salamis. Im fünften Jahrhundert vor Christus war das Heer des Perserkönigs Xerxes über den Hellespont gezogen, den heutigen Dardanellen zwischen Asien und Europa. Zwischenzeitlich rückte Xerxes' Heer sogar in Athen ein, das jedoch evakuiert wurde. Bei Salamis fügten die Griechen dem persischen Vielvölkerheer die entscheidende Niederlage zu. Die Perserkriege gegen die Griechen gelten als einer der ersten Ost-West-Konflikt der Weltgeschichte - und die Griechen als Retter des Abendlandes und des freien Europas.
Xerxes will Griechenland kontrollieren
Warum führte Xerxes Krieg gegen die Griechen? Perser und kleinasiatische Griechen lebten friedlich nebeneinander in blühenden Städten wie Milet, Sardeis und Ephesos an der Westküste Kleinsasiens. Doch im Jahr 499 v. Chr., während des Ionischen Aufstands, zerstörten die Athener die persische Satrapenstadt Sardeis, das heute türkische Izmir. "Nach persischem Verständnis musste das durch einen gleichartigen Akt gerächt werden, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen", sagt Professor Johannes Heinrichs, Althistoriker an der Universität Köln. Für Xerxes war klar: Vorfälle wie der in Sardeis können sich jederzeit wiederholen - wenn die Perser die Verhältnisse im europäischen Griechenland nicht kontrollieren. "Das war ein realpolitischer Grund", so Heinrichs.
Doch die Geschichte schreiben die Sieger. Das trifft selten mehr zu als auf die Einordnung der Perserkriege.
Fehlender Truppennachschub an den Thermophylen
Aischylos prägte als erster das Bild des Xerxes als wahnhaft verblendeten orientalischen Despoten - gegen den die Griechen die Freiheit Europas verteidigten. Ein Gegensatz war geboren, der die Perserkriege bei späteren Autoren zum Gründungsmythos der europäischen Zivilisation werden ließ. So schrieb der deutsche Philosoph Friedrich Hegel über 2.000 Jahre später: "Die Perserkriege sind welthistorische Siege: Sie haben die Bildung und die geistige Macht gerettet und dem asiatischen Prinzip alle Kraft entzogen."
Generationen nach Salamis sind die Geschichten mit den Erfolgsmythen der Sieger ausgeschmückt, zum Beispiel die Schlacht an den Thermopylen, wo 300 Spartaner ihr Leben der Übermacht und Grausamkeit des Xerxes geopfert haben sollen. "Sparta hatte jedoch erhebliche Fehler gemacht, was es nicht zugeben wollte", erklärt Johannes Heinrichs. Tatsächlich sei der Truppennachschub an den Thermopylen gescheitert. "Diese Fehlleistung musste durch eine besonders heroische Darstellung verdeckt werden", erklärt der Wissenschaftler.
"Ich bin Xerxes. Der König der Könige"
War Xerxes der grausame Despot, wie die alten Griechen ihn zeichnen? "Wenn wir uns die Reliefs in Persepolis ansehen, sehen wir, dass dies offensichtlich nicht zutrifft", sagt Johannes Heinrichs.
Aber die altpersischen Königsinschriften können erst in den 1950er-Jahren entziffert werden. Bis dahin sind nur die griechischen Überlieferungen bekannt. "Ich bin Xerxes. Der König der Könige, König der Länder, des Kyros Enkel, des Dareios Sohn", heißt es auf einer Inschrift. Johannes Heinrichs kommentiert: "Er nennt sich König der Könige. Das heißt, unter ihm stehen Könige. Nicht etwa Sklaven." Der Großkönig Xerxes war sozusagen ein Oberkönig, liess aber ansonsten in seinem Reich den einzelnen Völkern ihre Freiräume und ihre eigenen Götter. Er legte sich den Thronnamen "Hšayāŗšā" zu, "der über Helden herrscht", lateinisch Xerxes. Seine nach persischer Vorstellung weltumspannende Monarchie stand jedoch im Kontrast zu den autonomen Stadtstaaten des griechischen Festlands.
Nach seiner Niederlage in der Seeschlacht von Salamis zog sich Xerxes in seine Hauptstadt Susa zurück. Fortan beschäftigte er sich hauptsächlich damit, kolossale Bauten in Susa und Persepolis errichten zu lassen. Tatsächlich hinterließ der angeblich wahnhaft verblendete Xerxes des Aischylos bei seinem Tod im Jahr 465 v. Chr. ein mächtiges, wohlgeordnetes Weltreich. Rund 150 Jahre später schließt sich der Kreis: Alexander der Große zerstört die persische Königsresidenz Persepolis – Rache für die Plünderung Athens im Jahre 480 v. Chr. durch Xerxes.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. August 2016 ebenfalls an Xerxes. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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