Das Drama beginnt mit einer simplen Order. Eine Aktie von J-Com soll im Kundenauftrag zu 610.000 Yen - umgerechnet etwa 4.600 Euro - verkauft werden. Für das japanische Finanzhaus Mizuho Securities ein Miniauftrag an diesem 8. Dezember 2005. Eigentlich eine schnell erledigte Routine, hätte der Broker genau aufgepasst. Doch der Händler vertauscht Preis und Stückzahl und schreibt ins elektronische Handelssystem der Tokioter Börse: Verkaufe 610.000 J-Com-Aktien zum Preis von je einem Yen. Ein sogenannter "Fat-Finger-Fehler".
Schon zwei Minuten später fällt einem Assistenten bei Mizuho Securities das Missgeschick auf. Da lässt sich die Order schon nicht mehr stoppen. "Wenn solche Verkaufsaufträge kommen, dann ist die Spirale sehr, sehr schnell. Das Zurückholen ist dann schwer", erklärt Lutz Johanning, Wirtschaftsprofessor an der Privathochschule Vallendar. Der irrtümlich niedrige Verkaufskurs lässt die Nachfrage nach oben schnellen. Die Händler stürzen sich auf die billigen Papiere von J-Com, einem Neuling auf dem Parkett, der sich unter anderen um Personalvermittlung kümmert.
"Die Order ist ausgeführt"
Den Börsianern ist es egal, dass offensichtlich etwas schief gelaufen sein muss. Trotz vieler Versuche lässt sich das Geschäft nicht stornieren. Die Software der Tokioter Börse stellt sich als mangelhaft heraus. Eigentlich soll das System Alarm schlagen, wenn ein Verkaufspreis zu stark vom eigentlichen Kurs abweicht. Das passiert in Tokio wohl auch, aber der Auftrag wird nicht gestoppt, sondern lediglich der Verkaufspreis korrigiert.
"Man hat einen Fehler erkannt, aber trotzdem ist der Auftrag an die Börse gegangen", sagt Johanning. Mittlerweile sind alle bei Mizuho in Aufruhr. Der Chef lässt bei der Börse anrufen, dort heißt es aber nur lapidar: "Die Order ist ausgeführt." Der Kurs der J-Com-Aktie stürzt ab, der Markt wird mit Papieren überschwemmt, die das Handelshaus gar nicht besitzt. Mizuho bleibt nichts anderes übrig, als die angebotenen Aktien selbst am Markt zu kaufen, allerdings gibt es so viele J-Com-Anteilsscheine im freien Handel gar nicht.
Börsenchef tritt wegen Tippfehler zurück
Nun spielt der J-Com-Kurs völlig verrückt, wird durch die hohe Nachfrage nach oben gepeitscht. Spätestens jetzt ist dem Letzten am Markt klar: Hier hat jemand einen großen Notstand. Eigentlich hätte nun die zweite Sicherungsstufe greifen sollen, wie es zum Beispiel an anderen Handelsplätzen üblich ist. Dort wird bei extremen Kursschwankungen der Handel unterbrochen. "Die Marktteilnehmer werden aufgerufen, ihre abgegebene Order noch einmal zu überprüfen, ob diese auch richtig ist", erklärt Johanning. Doch auch das passiert in Tokio nicht.
Erst am folgenden Tag setzt die Börse den Handel mit J-Com-Aktien aus, um die Verwirrungen rund um den Tippfehler zu klären. Doch da ist es für Mizuho schon zu spät. Das Wertpapierhaus kann keine Aktien liefern, erklärt sich nun bereit, die Käufer insgesamt mit knapp 300 Millionen Euro zu entschädigen. Das ist mehr als der Jahresgewinn der Finanzgruppe.
Nicht nur für Mizuho hat der Tippfehler enorme Folgen: Das fehlerhafte elektronische Handelssystem kostet den Chef der Tokioter Börse ein paar Tage später seinen Job. Immerhin: Als ein japanischer Aktienhändler im Oktober 2014 irrtümlich Aktien im Wert von 500 Milliarden Euro ordern will, geht der Auftrag nicht mehr durch. Die Sicherungssysteme der Tokioter Börse schlagen Alarm und verhindern nun den Milliardendeal.
Stand: 08.12.2015
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