Ein Brand auf der thailändischen Insel Phuket erschüttert 1984 das Touristenparadies: In den Flammen eines Bordells sterben fünf Mädchen, das Jüngste von ihnen ist gerade einmal neun Jahre alt. Die Polizei findet ihre verkohlten Leichen im Keller – angekettet an ihre Betten. Sie hatten genauso wenig eine Chance, dem Feuer zu entkommen wie zuvor ihren Peinigern.
Die Freier sind meist westliche Täter, die ohne Rücksicht auf die Kinder ihre Gelüste befriedigen und das Gefälle von Arm und Reich ausnutzen. "Immer wieder stecken sich die Kinder mit Geschlechtskrankheiten an oder werden mit zerfetztem Anus oder verletzter Vagina in die Krankenhäuser eingeliefert", berichten Sozialarbeiter, die sich um die jungen Opfer kümmern. Der Brand bringt das Thema in die Öffentlichkeit und in der Folge entstehen erste Kampagnen gegen Kinderprostitution im Tourismus.
Vergewaltigung für drei Dollar
Dennoch braucht es weitere zwölf Jahre, bis das Leid der Kinder weltweites Gehör findet. Am 27. August 1996 treffen sich Vertreter von mehr als 120 Regierungen und mehreren Hundert nicht staatlichen Organisationen zum "Ersten Weltkongress gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern" in Stockholm. Hier schildern Kindern ihren Leidensweg, keiner kann mehr wegschauen."Los, zieh dich aus, sagte der Mann, leg dich aufs Bett. Ich war total erschrocken und weigerte mich", berichtet ein junges Opfer den 1.200 Delegierten. Seine Weigerung interessierte den Ausländer nicht, der ihn vergewaltigte und ihm drei Dollar als "Lohn" gab.
Drei Jahre lang musste der Junge das Unvorstellbare immer wieder über sich ergehen lassen. "Die Ausländer zwangen uns zu perversen Spielen und filmten uns dabei. Wenn wir nicht wollten, schlugen sie uns. Irgendwann spürst du keine Schmerzen mehr und keine Angst. Du machst einfach mit", erzählt der Junge weiter. Seine Geschichte ist kein Einzelschicksal. Das Kinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass jährlich rund drei Millionen Kinder weltweit von Kinderhandel, Prostitution und Pornografie betroffen sind.
Nach dem fünftägigen Kongress versprechen mehr als 120 Staatsregierungen einen nationalen Aktionsplan gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern. "Viele Länder haben nach Stockholm Gesetze verabschiedet, bei denen Kinderprostitution verboten wurde, bei denen Kinderpornografie oder Kinderhandel als eine Straftat in deren Gesetzgebung aufgenommen wurde", erzählt Mechtild Maurer, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung " ECPAT " über den Erfolg des ersten Kongresses. Weitere Treffen zum Schutz der Kinder folgen 2001 in Yokohama und 2009 in Rio de Janeiro.
Opfer schweigen aus Angst vor der Rache der Täter
Doch trotz der gesetzlichen Verbote bleibt Kinderhandel ein großes Problem. Während Kriminelle Drogen und Waffen nur einmal verkaufen können, lassen sich die Kinder immer wieder ausbeuten. Zusätzliche Sorgen bereiten den Kinderschutzorganisatoren die derzeit vielen jungen Menschen auf der Flucht. Unbegleitete Kinder können eine leichte Beute sein. Die europäische Polizeibehörde Europol schätzt, dass 10.000 von ihnen "verschwunden" sind. Womöglich befinden sich viele in der Gewalt von Menschenhändlern, deren Machenschaften selten enttarnt werden.
In der gesamten EU wurden 2010 lediglich 1.250 Täter wegen Menschenhandel verurteilt. Das Problem: Die meisten Opfer wollen aus Angst vor der Rache der Täter nicht vor Gericht aussagen. Verprügelte Verwandte, abgebrannte Häuser, entführte Kinder und sogar Mord – all das widerfährt denjenigen, die mit den Behörden reden. Der kleine Junge, dessen Schicksal in Stockholm die Teilnehmer berührte, hat seine Angst vor der Rache der Kindersex-Mafia überwunden und vor Gericht ausgesagt. Doch in seinen Albträumen verfolgen ihn die Ereignisse noch immer.
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