Schulnoten stellen die Bewertung von Lehrern auf eine objektive und nachvollziehbare, vor allem aber auch neutrale Grundlage. Davon ist das aufstrebende Bürgertum Anfang des 20. Jahrhunderts überzeugt. Ein Raster von "sehr gut" bis "ungenügend" dient als Instrument, um die Karriere der Begabtesten ohne Rücksicht auf deren Herkunft sicherzustellen.
Noch heute haben wir ein Schulsystem, das im Wesentlichen auf Auslese setzt, sagt Bildungsforscher Hans Brügelmann. Und da sei Benotung ein zentrales Merkmal: "Wechsel an eine weiterführende Schule oder Zugang zu anderen Bildungseinrichtungen, da ist das zumindest vordergründig ein sehr hilfreiches Sortierungsmittel."
Besser sind Berichtszeugnisse
Gegen dieses "Sortierungsmittel" laufen in Deutschland schon früh die Reformpädagogen Sturm. Noten führten keineswegs zu Leistungssteigerung und Motivierung, kritisieren sie. Im Gegenteil: Die Klassifizierung schaffe Konkurrenzdenken und schüre Neid. Gerade schwächere Schüler würden demotiviert. Maria Montessori oder Johann Heinrich Pestalozzi fordern deshalb eine humanere Schule ohne Notendruck. Umgesetzt werden diese Forderungen aber nur in wenigen Konzepten, darunter denen der Waldorfschulen. Sie setzten auf differenzierte "Berichtszeugnisse", in denen die Lehrer den Leistungsstand des Schülers individuell in ausführlichen Beurteilungen beschreiben müssen.
Auch wenn noch Bundespräsident Roman Herzog (CDU) im Jahr 1997 vor einer "Kuschelpädagogik" warnt: Die negative Wirkung von Schulnoten gilt heute bei vielen Forschern als erwiesen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Marianne Tidick (SPD) sieht das genauso – vor allem für die ersten Schuljahre. "Die Berichtszeugnisse können die Entwicklung eines indes sehr viel differenzierter darstellen, als es Noten könnten, und deshalb ändern wir die Grundschulordnung entsprechend", gibt sie 1991 bekannt. Eigentlich will Tidick die Noten von der ersten bis zur vierten Klasse abschaffen. Aber der Druck der konservativen Politiker verhindert dies. Am 12. August 1991 verzichtet Schleswig-Holstein zumindest auf die Schulnoten bis zur dritten Klasse.
"Weder objektiv noch leistungsorientiert"
Den nächsten Schritt vollzieht das Land 13 Jahre später. Seit 2014 gibt es dort auch in der vierten Klasse keine vermeintlich objektive Benotung mehr. Neben dem Weg in ein zweigliedriges Schulsystem ohne Regional- und Hauptschulen ist die ein weiterer radikaler Bruch mit pädagogischen Traditionen. "Ziffernnoten sind weder objektiv und verlässlich noch differenziert und leistungsorientiert", begründet Bildungsministerin Waltraud Wende die Entscheidung der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW).
Gleichzeitig wird die so genannte Schulübergangsempfehlung abgeschafft. Fortan müssen sich Lehrer und Eltern über die weiterführende Schule der Kinder beratend besprechen.
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