Thomas Theodor Heine ist ein großer Hundefreund. Vor allem die Möpse haben es ihm angetan. Ein ganzes Mopsgeschlecht nennt er sein eigen. In die Kunstgeschichte aber geht der Zeichner ein mit einem viel bissigeren, von ihm zu Papier gebrachten Hund: einer blutroten Bulldogge vor schwarzem Hintergrund. Zähne fletschend, mit gesprengten Ketten. Und jederzeit bereit, der Welt an die Kehle zu springen.
Im Mai 1896 taucht die böse Dogge erstmals auf der Rückseite der Satirezeitschrift "Simplicissimus" auf. Und wird schnell zum Cover-Logo für das Blatt, in dem Autoren und Zeichner wie Frank Wedekind, Erich Kästner, Joachim Ringelnatz, Kurt Tucholsky, George Grosz, Olaf Gulbansson oder Alfred Kubin den heuchlerischen Pfaffen, dümmlichen Militärs, bornierten Beamten und lächerlichen Adeligen des Kaiserreichs kräftig in die Waden beißen.
Satire farbig machen
Am 4. April 1896 kommt die erste Ausgabe des "Simplicissimus" aus dem Münchner Kunst- und Literaturverlag von Albert Langen für zehn Pfennig in den Handel – und wird zum Flopp. Aber der Verleger gibt nicht auf und kompensiert seine finanziellen Nöte durch Zuschüsse seiner Kölner Zuckerfabrikantenverwandtschaft. Auf diese Weise schafft er ein Magazin, dass die schwarzweiße Tradition der satirischen Blätter des 19. Jahrhunderts durch plakativen Steindruck farbig und stilbildend macht.
Benannt ist die Satirezeitschrift nach der Titelfigur aus dem Barockroman "Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, dessen vermeintlich einfältige Fragen die Verlogenheit und Brutalität der Gesellschaft zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges aufdecken. Die Zeitschrift ist ungleich direkter, intellektueller, klarer. Das zeigen auch die Presseprozesse, in die die Zeichner und Autoren des Blattes regelmäßig verwickelt werden. Einmal sorgt sogar Kaiser Wilhelm II. persönlich dafür, dass seine Kritiker zu Festungshaft verurteilt werden.
Vom eigenen Patriotismus überrollt
Nachdem der "Simplicissimus" in seinem vierten Heft Gedichte des revolutionären Dichters Georg Herwegh veröffentlicht, wird er in Österreich verboten. Als Reaktion darf die rote Cover-Dogge das Bein an einen österreichischen Wachtmann heben, der gerade Plakate des "Simplicissimus" entfernt. 1898 wird der Verkauf der Satirezeitschrift an preußischen Bahnhöfen untersagt – weshalb in der Folgenummer die bissige Bulldogge auf der Titelseite einen ganzen Zug fressen darf.
Die mit solchen Verboten verbundene Aufmerksamkeit erhöht die Auflage. Die bornierte Obrigkeit kann dem Blatt also nichts anhaben. Das müssen die Beiträger schon selbst besorgen. Als auch Deutschlands Künstler und Intellektuele mit Pauken und Trompeten in den Ersten Weltkrieg ziehen, entdeckt auch der "Simplicissimus" seine patriotische Ader. Seinen Biss findet die Zeitschrift erst in den 20er Jahren wieder – bis die Redaktion unter den Nationalsozialisten gleichgeschaltet wird. Ein Wiederbelebungsversuch nach 1949 hat nur wenige Jahre Bestand.
Stand: 04.04.2016
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. April 2016 ebenfalls an den "Simplicissimus". Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
-
-
-
- 09. Januar 1890 - Kurt Tucholsky wird geboren | mehr
- 11. Oktober 2009 - Vor 30 Jahren: Magazin "Titanic" wird gegründet | mehr
- 21. Januar 2007 - Vor 140 Jahren: Ludwig Thoma wird geboren | mehr