Auf den Straßen in Berlin herrscht 1865 Chaos: Kutschen, Reiter und Fußgänger blockieren sich gegenseitig. Während Wirtschaftstelegramme aus Frankfurt oder Hamburg in wenigen Sekunden im Haupttelegrafenamt der Stadt eintreffen, braucht es dann eine Ewigkeit, bis die Kuriere mit den Papieren die Börse erreichen. Doch an den Finanzmärkten ist Zeit Geld und so sollen die Informationen schneller durch die Stadt huschen.
Die Lösung sind unterirdisch rasende Büchsen, die mit Druckluft durch armdicke Rohre gepresst werden. Da die Berliner Straßen ohnehin gerade überall aufgerissen werden, um Gas, Wasser und Abflussleitungen zu verlegen, kommen die Postrohre nun noch dazu. Am 18. November 1865 wird die erste Kartusche vom Haupttelegrafenamt durch den Mini-Tunnel zur Börse geschickt.
Idee in London geklaut
Abgeguckt haben sich die Berliner die Idee in London. Da sind die Röhren allerdings größter. "Einige Beamte sollen sich tatsächlich in der Holborne Street durch die Stadt haben schießen lassen", sagt Oliver Götze, Historiker im Berliner Museum für Kommunikation. In Berlin passen keine Menschen in die Miniatur-U-Bahn. Doch das unterirdische Rohrsystem bewährt sich als sicheres Kommunikationsmittel in der schnell wachsenden Stadt. "Man konnte Geschwindigkeiten bis zu 50 Kilometer in der Stunde erreichen, das ist also sehr, sehr flink gewesen", erklärt Götze.
Die meisten Berliner merken wenig von der neuen Technik. Die Büchsen ploppen am nächstgelegenen Postamt aus dem Rohr, die Briefe bringt dann der Bote nach Hause. Nur im Resi-Casino in der Berliner Hasenheide ist das anders. Dort schicken schmachtende Kavaliere ihrer Angebeteten poetische Zeilen direkt mit der hauseigenen Tischrohrpost, jeder Platz ist mit jedem vernetzt.
Nachrichten trotz Bombenangriffe
Das Berliner Netz wächst bis 1945 auf rund 400 Kilometer, zwölf Schnellrohrpostlinien verbinden 90 Postämter und Behörden und befördern bis zu acht Millionen Sendungen im Jahr. Vor allem im Zweiten Weltkrieg sind die Berliner froh über ihr unterirdisches System, das trotz Bomben- und Granatendonner Nachrichten durch die Stadt transportiert. Bei Kriegsende sind etliche Leitungen zerstört, 1949 wird die Ost-West-Verbindung gekappt. Doch die Berliner halten an ihrer Rohrpost fest. Auf der Westseite werden bis 1972 noch Nachrichten durch die Rohre geschickt, dann kommt das Aus. Im Osten wird vier Jahre später der Betrieb eingestellt.
Heute erinnert man sich in Berlin wieder an die gute alte Rohrpost. Denn wie sollen Minister und Kanzlerin miteinander kommunizieren, wenn Telefon und E-Mails vom großen Bruder angezapft werden? "Der große Vorteil der Rohrpost ist, dass sie abhörsicher ist", erklärt Götze. Er findet die Idee, für die Regierung eine Rohrpost zu installieren, gar nicht so abwegig. "Das würde durchaus Sinn machen, die Ministerien sind vergleichsweise eng beieinander", fügt der Technik-Historiker hinzu. Und das Kanzleramt ist ohnehin verrohrt. Wer im weißen Riesengebäude sein Handy beim Kollegen vergessen hat, kann es sich in einer flitzenden Büchse schicken lassen.
Stand: 18.11.2015
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