Noch bevor Indien 1947 unabhängig wird, gibt es innerhalb des Landes Abspaltungsüberlegungen. Auf der Versammlung der indischen Muslim-Liga formuliert Dichterphilosoph Muhammad Iqbal erstmals den Wunsch nach einem pakistanischen Nationalstaat mit islamischer Identität: "Die Formierung eines vereinigten muslimischen Staates scheint mir die finale Bestimmung der Muslime in Nordwest-Indien zu sein." Das Prinzip der europäischen Demokratie könne nicht auf Indien angewendet werden, ohne den Faktor der regionalen Volksgruppen anzuerkennen.
Die Muslim-Liga macht die Zweistaaten-Theorie zum Programm. Die Muslime, so die Befürchtung, würden in einem hinduistisch dominierten einheitlichen Indien als Minderheit immer unterdrückt werden. Nach religiösen Unruhen in Indien sehen die Briten schließlich keine Alternative: Am 14. August 1947 entlassen sie Indien und den neuen Staat Pakistan getrennt in die Unabhängigkeit. Muhammad Ali Jinnah, erstes Staatsoberhaupt Pakistans, versichert den Minderheiten, "dass sie nichts zu befürchten haben, solange sie ihre Pflicht und Schuldigkeit als loyale Bürger Pakistans erfüllen".
Bhutto propagiert sozialistische Reformen
Jinnah will einen liberalen demokratischen Staat aufbauen. Doch bei der Formulierung der ersten Verfassung Pakistans setzen sich islamische Kräfte durch: der Koran und die Tradition des Propheten Muhammad sollen zur Richtschnur für alle neuen Gesetze werden. Am 23. März 1956 wird die Islamische Republik Pakistan ausgerufen, die formell allerdings ein säkularer Staat ist. In den 1970er Jahren propagiert Ministerpräsident Zulfikar Ali Bhutto sozialistische Reformen. Das stößt auf Widerstand, denn die Islamisten wollen das islamische Recht, die Scharia, installieren. Bhutto geht mit seinen Gegnern taktisch um und setzt den Islam als Mittel ein, um seine Macht zu festigen. "Je mehr er den islamischen Charakter betonte, desto mehr betonte er die anti-indische Identität", sagt Pakistan-Expertin Citha Maaß.
Bhutto lässt die islamische Sondergemeinschaft der Ahmadiyya verbieten, die damals in der Verwaltung Führungspositionen inne hat. "Als Bhutto sah, dass eben die Opposition im Land immer mehr wuchs, hat er sie zum Sündenbock gemacht in der Hoffnung, dass er dadurch die Oppositionskräfte wieder auf seine Seite bringt", sagt Citha Maaß. Das Verbot ist ein Präzedenzfall in der islamischen Geschichte, der verheerende Folgen für das Verhältnis zwischen den verschiedenen islamischen Konfessionen in Pakistan hat.
Militär gehört zur islamistischen Bewegung
Bhutto gewinnt die Wahlen im März 1977, doch die Islamisten vermuten Betrug. Es kommt zu Unruhen. Bhutto weiß, dass Militär, Geheimdienst und Wirtschaft eine Allianz gegen ihn gebildet haben. "Die Bankiers, die Industriellen und ihre Helfershelfer in den religiösen Parteien sagen zu mir: 'Wir wollen den ganzen Fortschritt nicht. Diese Modernisierung ist falsch.'", sagt Bhutto in einem Interview. "Sie wollen alles islamisieren."
Im Juli 1977 greift schließlich das Militär ein. Es gehört, ebenso wie der Geheimdienst, zur islamistischen Bewegung. General Zia ul-Haq lässt Bhutto verhaften und später hinrichten. Der General islamisiert Pakistan umfassend. Die alten Körperstrafen des Korans werden wieder eingeführt, wie zum Beispiel Handabhacken bei Diebstahl. Das Regime von Zia ul-Haq gilt als einer der Geburtshelfer des globalen islamistischen Terrors. Pakistan unterstützt in den 1980er Jahren die Mudschaheddin in Afghanistan und trägt auch zum Aufstieg der Taliban bei.
Stand: 23.03.2016
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