Beinah wird er Schweinzüchter. Denn nirgendwo fühlt sich Otto Sander so wohl wie auf dem Bauernhof des Großvaters. Besonders, wenn ein Schlachtfest gefeiert wird. Dann hilft Otto, der am 30. Juni 1941 in Hannover geboren wurde und in Peine aufwächst, bei der Blutwurstzubereitung. Den Kindern, die ihn wegen seiner roten Haare und den Sommersprossen auslachen, droht er im Stillen oft an, er würde Blutwurst aus ihnen machen. Jahre später fällt ihm etwas Besseres ein, er wird Schauspieler: "Wenn die Leute über mich lachen, dann sollen sie auch dafür Geld bezahlen."
Nach Abitur und Wehrdienst bei der Bundesmarine studiert Sander ab 1962 in München Theater- und Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie. Parallel dazu nimmt er Schauspielunterricht an der Otto-Falckenberg-Schule. In Düsseldorf und Heidelberg tritt er zum ersten Mal auf. 1968 holt ihn Claus Peymann an die Freie Volksbühne Berlin, wo Sander seinen Durchbruch als Fritzchen - einem Quengel-Bengel mit blauem Strampelhöschen - in Philippe Adriens Komödie "Sonntags am Meer" hat. Für Peymann die Geburt eines ganz großen Komikers: "Er hatte von Anfang an das Charisma eines Sonderfalls", sagt der Regisseur. "Man sah dem Sander an: Das wird einer, ja?! Das war mir völlig klar." 1970 wechselt Sander an die Schaubühne von Peter Stein, wo er in den 1970er und 1980er Jahren Theatergeschichte schreibt.
Preisgekrönt - angstgeplagt
Auf der Leinwand ist Sander ebenfalls präsent. In Volker Schlöndorffs "Blechtrommel" (1979) ist er der betrunkene Trompeter Meyn, in Wolfgang Petersens "Das Boot" (1981) spielt er der trinkende U-Bootskapitän Thomsen und in Wim Wenders "Der Himmel über Berlin" stellt er den Engel dar. Als Ziehvater von Meret und Ben Becker steht er auch häufig mit den beiden vor der Kamera oder auf der Bühne. Sander gehört zu den profiliertesten deutschen Schauspielern. Er wird mehrfach ausgezeichnet. Er erhält unter anderem den Deutschen Kritikerpreis (1979, 1999), den Adolf-Grimme-Preis (1995) und die Berlinale Kamera (2008).
Dennoch ist Sander ein ängstlicher Mensch: "Ich habe oft Angst - vor anderen Menschen, auf Ämtern, vor Polizisten, vor großen, starken Menschen, vor Hunden, vor frechen kleinen Kindern." Im Leben begebe er sich deshalb manchmal nicht in die Situation, auf der Bühne hingegen umso mehr. "Denn da kann man ja spielend die Probleme lösen." Das mache Theaterspielen so schön. Eine melancholische Note schwinge im Spiel von Sander immer mit, sagt Schauspieler-Kollege Martin Wuttke. "Die guten Komiker sind meistens keine lustigen Menschen." Schauspieler und Autor Hanns Zischler hat bei Sander eine Kunst des Zögerns und Verzögerns festgestellt, die mit dessen Melancholie zu tun habe: "Eine Melancholie, die nicht nur in der Stimme ist, sondern eben auch im Blick."
"Ich bin etwas schief ins Leben gebaut"
Nach dem Geheimnis der Komik befragt, erinnert sich Sander daran, was ihm sein Freund, der Komiker Curt Bois, gesagt hat: "Otto, lachen muss der Zuschauer und nicht die Agierenden auf der Bühne. Denn Humor kommt aus der Trauer." Als Schauspieler müsse man stellvertretend auf der Bühne leiden. "Es muss einem ganz dreckig gehen - damit die Leute lachen." 2007 muss Sander Proben absagen, weil er an Speiseröhrenkrebs erkrankt ist. Bereits im Jahr darauf tritt er wieder auf: als Blinder in Thomas Bernhards Komödie "Der Ignorant und der Wahnsinnige".
Aufgrund seiner markanten tiefen Stimme ist Sander auch als Sprecher von Hörbüchern, Dokumentationen und Werbespots gefragt. Er veranstaltet auch immer wieder Lesungen. Über Jahre tritt er immer wieder mit seinem Joachim-Ringelnatz-Programm auf, zuletzt 2013, kurz vor seinem Tod. Diesen Abend betitelt er mit einem Ringelnatz-Zitat, das auch für ihn passt: "Ich bin etwas schief ins Leben gebaut". Otto Sander, der auch - nach seiner Formulierung - "Bootschafter" der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist, stirbt am 12. September 2013 im Alter von 72 Jahren in Berlin an Krebs.
Programmtipps:
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 30. Juni 2016 ebenfalls an Otto Sander. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 01.07.2016: Vor 5 Jahren: Hochzeit von Fürst Albert II. und Charlene Wittstock.