Drei Wörter sind es nur, aber es sind wohl die prägnantesten in Angela Merkels bisheriger Kanzlerschaft. Drei Wörter, die letztlich wie ein Lackmustest den Zustand der Gesellschaft offenlegen, als Hundertausende Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen, um in Deutschland Schutz oder eine neue Heimat zu suchen.
In einer Pressekonferenz am 31. August 2015 bestimmt Merkel ihre Position zur Flüchtlingswelle. Es geht um Humanität und Sicherheit, Erstaufnahmelager, faire Verteilung, Asyl und Rückführung. "Das Motiv", so erklärt die CDU-Politikerin, "mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft - wir schaffen das!"
Deutsche Willkommenskultur
Angesichts zahlreicher Flüchtlinge, die aufgenommen, registriert und verteilt werden müssen, geraten staatliche Organe allerdings schnell an ihre Grenzen. "Das Bundesamt für Migration etwa war schlichtweg völlig überfordert", urteilt etwa Christine Busch, Sozialdezernentin von Bergkamen.
Es sind vor allem Kommunen und Privatleute, die das Chaos bei den Migrantenankünften bewältigen. "Es waren die ganz normalen Menschen, die das Notwendige und Richtige getan haben", sagt Busch, "mit Empathie, Fürsorge und Verantwortungsbewusstsein." Internationale Medien berichten erstaunt über diese deutsche Willkommenskultur.
Rechtsextreme schüren Ängste
Nicht wenige Deutsche lehnen diese Haltung indes als realitätsferne Gefühlsduselei ab. Angesichts des massiven Zustroms geflüchteter Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Afrika und dem Balkan sehen sie ihre Sicherheit, ihren Wohlstand oder gar die deutsche Kultur bedroht.
Vor allem in Ostdeutschland schüren rechtsextreme Gruppen die Angst vor "Überfremdung", vor Vergewaltigung und Mord durch Flüchtlinge und vor dem Ausverkauf des Sozialstaats. Und auf Angela Merkels "Wir schaffen das" antwortet der AfD-Spitzenmann Alexander Gauland bei einer Kundgebung in Erfurt: "Nein! Wir wollen das gar nicht schaffen!"
Momente des Kontrollverlustes
Trotz Gegenwindes auch aus den eigenen Reihen bleibt die Bundeskanzlerin ihrem Kurs bei der Aufnahme von Flüchtlingen treu. Knapp eine Million stellen allein 2015 einen Asylantrag. Zeitweise, das muss selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eingestehen, habe es dabei "Momente des Kontrollverlustes gegeben".
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zählt in jenem Jahr 141 Attacken auf Geflüchtete, meist Brandanschläge auf Unterkünfte.
Fünf Jahre nach Merkels "Wir schaffen das" ist die Gesellschaft noch immer tief gespalten. Rund 40 Prozent der Deutschen wollen eine restriktivere Migrations- und Integrationspolitik.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 31. August 2020 ebenfalls an das Merkel-Zitat. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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