"Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht" - so banal der Text, so gewaltig der Erfolg: Mit diesem Schlager katapultiert sich Drafi Deutscher am 4. Dezember 1965 auf Platz eins der bundesdeutschen Hitparade. In Westdeutschland verkauft sich die Single im ersten halben Jahr nach ihrem Erscheinen 800.000 Mal. Das kann selbst der Bayerische Rundfunk nicht verhindern, der den Song wegen des grammatisch falschen Titels nicht spielen will. Korrekt heißen müsste es nämlich "Marmor, Stein und Eisen brechen". In den USA stürmt der deutsche Hit ebenfalls die Charts, allerdings in einer englischen Fassung: "Marble breaks and Iron bends".
Deutscher ist anfangs von seinem Erfolg überrascht: "Vielleicht war es einfach der Stil, dass es mir gelungen ist, das, was die 'Beatles' und die Amerikaner gemacht haben, ins Deutsche zu übertragen." Sein Sound ist jedenfalls hart genug, um sich vom gefühligen deutschen Schlager abzusetzen. Sogar die Fans der "Beatles" und "Rolling Stones" kaufen die Platte. "Dieses Lied hat buchstäblich nichts von dieser klassischen deutschen Sentimentalität, von dieser Triefigkeit", sagt der Berliner Musikjournalist Jan Feddersen. "Das war richtig geiler deutscher Popsound." Deutscher habe ihn so verkörperlichen können, wie es ein Roy Black niemals habe schaffen können.
Goldene Uhren, Cadillac, Chauffeur
Drafi Richard Franz Deutscher wird am 9. Mai 1946 in Berlin geboren. Seinen Vater, ein ungarischer Geigen-Virtuose, lernt er nie kennen. Er wächst bei seiner Großmutter auf, während seine Mutter als Schwesternhelferin arbeitet. In der achten Klasse bricht Drafi die Schule ab und widmet sich der Musik. Er tingelt durch Berliner Kneipen. 1963 bekommt er seinen ersten Plattenvertrag und geht mit deutschsprachiger Beatmusik auf Tournee. Seinen Durchbruch mit "Marmor, Stein und Eisen bricht" überwältigt ihn: "Ich hab nichts gelernt, war Hilfsarbeiter." Er habe bis dahin 40 Mark in der Woche verdient, dann plötzlich 1.000 oder 2.000 Mark für einen Auftritt von 20 bis 30 Minuten. "Da ist mir die Birne geplatzt." Er habe goldene Uhren und einen Cadillac gekauft, einen Chauffeur beschäftigt. Er sei ein "richtiger Vollspinner" gewesen.
Deutscher wird innerhalb kurzer Zeit einer der bekanntesten Schlagerstars der Bundesrepublik, neben den braven Konkurrenten Rex Gildo und Roy Black. Doch keine zwei Jahre nach dem Erfolg mit "Marmor, Stein und Eisen bricht" folgt der tiefe Fall: Deutscher pinkelt völlig betrunken aus einem Hotelfenster auf die Straße - unten kommen gerade Schulkinder vorbei. Der Sänger wird wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu mehreren Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Radiostationen und Sendeanstalten gehen auf Distanz zu ihm.
Unter mehr als 40 Pseudonymen
Der Pinkel-Skandal ramponiert Deutschers Ruf langfristig. Immer mehr Schlagzeilen beherrschen seine Karriere: Steuerhinterziehung, verkrachte Ehen, Verhaftung wegen Kokainbesitzes. Sein Ausweg: Er tritt nicht mehr unter seinem eigenen Namen auf, sondern nennt sich nun Jack Goldbird, Kurt Gebegern oder Randy Rogers. Deutscher tritt unter mehr als 40 Pseudonymen auf - und schreibt immer wieder Hits für andere Künstler: "Silverbird" für Tina Rainford, "Mama Leone" für Bino, "Belfast" für "Boney M." und "Jenseits von Eden" für Nino de Angelo.
Musikjournalist Feddersen bescheinigt Deutscher "ein ziemlich gutes Gespür für das, was als Ware Pop gut ankommt". Der Schlagerstar schreibt über 200 Songs. Als nach einem körperlichen Zusammenbruch 1999 Diabetes bei ihm festgestellt wird, wird es ruhiger um den starken Raucher. Trotzdem steht er bis fast zum Schluss auf der Bühne. Doch als nach einer Lungenenzündung festgestellt wird, dass der Musiker herzkrank ist, geht es gesundheitlich rapide bergab. Am 9. Juni 2006 stirbt Drafi Deutscher im Alter von 60 Jahren in Frankfurt am Main.
Stand: 04.12.2015
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