Ein lauer Wind durchstreift lauschige Arkadengänge und üppige Blätterranken an Fassaden. Es ist ruhig in den Straßen und Gassen mit Namen wie Daheim, Waldlehne, Sonnenblick und Schöngelegen. Die Vögel können ungestört zwitschern. Da und dort ein malerischer Torbogen, ein kleiner Marktplatz, altmodisch geschwungene Hausgiebel eng aneinander geschmiegt: Hier sind Beschaulichkeit und Bürgersinn zu Hause.
Das Ruhrgebiet scheint weit entfernt, doch die Margarethenhöhe liegt mittendrin, im Süden von Essen-Rüttenscheid. Etwas über 7.000 Menschen bewohnen die grüne Siedlungsinsel, die als architektonisches Gesamtkunstwerk zu den schönsten Gartenstädten Europas zählt. Ihre Entstehung verdankt die Margarethenhöhe der einzigen Frau, die je an der Spitze des Stahlkonzerns Krupp stand: Margarethe Krupp, geborene Freiin von Ende.
Gartenstadt "für minderbemittelte Klassen"
Als der 48-jährige Friedrich Alfred Krupp 1902 plötzlich stirbt, wird seine Frau Herrscherin über die Gussstahlfabrik mit ihren über 40.000 Beschäftigten. Vier Jahre leitet Margarethe die bedeutendste Rüstungsschmiede des Kaiserreichs treuhänderisch für ihre Tochter Bertha, die noch minderjährige Erbin des Krupp-Imperiums. Am 15. Oktober 1906 heiratet Bertha den Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach, der die Leitung des zur Friedrich Krupp AG umgewandelten Konzerns übernimmt. Noch am selben Tag kündigt Krupp-Matriarchin Margarethe die Gründung einer "Stiftung für Wohnungsfürsorge" an.
Den Plan dazu hat sie offenbar schon länger verfolgt. Seit drei Jahren lässt die "reichste Witwe Deutschlands" Grundstücke in Rüttenscheid aufkaufen; 50 Hektar besitzt sie inzwischen. Nun stiftet sie eine Million Reichsmark und lässt einen noch wenig bekannten Architekten eine außergewöhnliche Gartenstadt für "minderbemittelte Klassen" errichten. Der junge Georg Metzendorf ist ein Verfechter moderner Städtebau-Philosophien und erhält freie Hand. Von sämtlichen Bauauflagen befreit, kann er ganz nach seinen Vorstellungen planen und bauen. 1911 ziehen die ersten Mieter auf der Margarethenhöhe ein. Bald stellen kleine Beamte, Angestellte und Handwerker eine Hälfte der Bewohner, die anderen sind verdiente Kruppianer.
Die alte Margarethenhöhe und ihre hässliche Schwester
Die Essener Bevölkerung wächst seit langem rasant; die Wohnbedingungen in den Arbeiter-Mietskasernen sind kaum zu ertragen. Georg Metzendorfs Siedlung dagegen bietet eine zukunftsweisende Ausstattung: Jede Wohnung verfügt über ein Bad mit Wanne und Toilette. Herd, Heizung und Warmwasserzubereitung sind über einen Boiler miteinander verbunden. Von außen sieht keines der Häuser aus wie das andere; Metzendorf nutzt Bauformen und Stileinflüsse aus ganz Europa. Dennoch wirkt alles wohlgeordnet, denn der Architekt folgt aus Kostengründen einem ausgeklügelten Baukastenprinzip mit immer gleichen Elementen. Weltkrieg, Revolutionen und Inflationen verzögern die Fertigstellung der Margarethenhöhe. Erst Mitte der 1930er Jahre ist die Gartenstadt in ihrer historischen Gestalt vollendet.
Fast die Hälfte der Häuser fällt Weltkriegsbomben zum Opfer, doch sie werden originalgetreu wiedererrichtet. In den 60er und 70er Jahren erhält das idyllische Viertel eine hässliche Schwester. Sie wird durch eine Trabantensiedlung aus monotonen, mehrstöckigen Bauklötzen erweitert – ein "deutlicher gestalterischer Kontrast zur alten Margarethenhöhe“, wie die Margarethe-Krupp-Stiftung feststellt. Große planerische Mängel und wachsende soziale Probleme können erst durch umfassende Nachbesserungen gemildert werden. Die alte Margarethenhöhe steht seit 1987 unter Denkmalschutz und gehört noch heute zu den begehrtesten Essener Wohnvierteln. Wer hier nach Jahren auf der Warteliste ein Häuschen ergattert, der bleibt in der Regel ein Leben lang.
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