5. Oktober 1817 - Das Manneken Pis in Brüssel wird gestohlen

Stand: 05.10.2017, 00:00 Uhr

Als "sich seines inneren Feuchtigkeitsüberschusses auf die einfachste Art entledigendes Bürschchen" umschreibt ein deutscher Fremdenführer im Jahr 1910 schamhaft den Knaben, den alle Welt als Manneken Pis kennt. Bis heute lockt die knapp 60 Zentimeter kleine Brunnenfigur jeden Tag mehr Touristen an als das andere Wahrzeichen Brüssels, das 1958 errichtete und fast 170 Mal so große Atomium.

Die Brüsseler lieben ihren pinkelnden Winzling, der seit Jahrhunderten den freien Geist der Stadt verkörpert. Bereits um 1450 wird das Manneken Pis erstmals schriftlich erwähnt; 1619 erschafft der Bildhauer Jérôme (Hieronymus) Duquesnoy den bronzenen Urtyp der Figur, die seither in der Brüsseler Altstadt in ein kleines Becken uriniert.

"Manneken Pis" in Brüssel gestohlen (am 05.10.1817) WDR 2 Stichtag 05.10.2017 03:56 Min. Verfügbar bis 03.10.2027 WDR 2

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Original oder Plagiat?

Niemand weiß heute genau, wie oft das Manneken Pis in der wechselvollen Geschichte Brüssels ramponiert oder gar gestohlen wurde. Als besonders verwerflich aber geht jene Entführung in die Stadtannalen ein, die sich am 5. Oktober 1817 ereignet hat. Der Dieb wird damals gefasst und gnadenlos mit Zwangsarbeit, Brandzeichen sowie Zurschaustellung am Pranger bestraft.

Aus Sorge um "Petit Julien", wie das Manneken Pis alten Quellen zufolge heißt, wird die Figur Mitte der 1960er-Jahre durch eine Kopie ersetzt. Das Original findet auf einem goldenen Sockel im Maison du Roi am historischen Marktplatz ein geschütztes Plätzchen. Belgische Wissenschaftler versuchen allerdings seit Längerem herauszufinden, ob nach dem Raub von 1817 tatsächlich die ursprüngliche Skulptur von Jérôme Duquesnoy an ihren angestammten Platz zurückgekehrt ist. Es wird befürchtet, dass die wertvolle Originalstatue bereits damals bei einem privaten Liebhaber verschwunden ist oder - noch schlimmer - eingeschmolzen wurde.

Traditionsreiche Kostümierungen

Zur Berühmtheit der Brunnenfigur haben ihre oft wechselnden Kostümierungen beigetragen. Begründet wird die Tradition 1698 von Bayerns Kurfürst Max Emmanuel, der als Statthalter der Niederlande dem Manneken Pis eine weiß-blaue Tracht verpasste. So blickt der kleine Pisser bis heute zu besonderen Anlässen in maßgeschneiderten Outfits auf seine Besucher herab: mal als Mozart oder Elvis, Musketier, Fußballer oder Kölscher Karnevalsprinz - oder in den Nationaltrachten vieler Länder rund um den Globus.

Wer dem Manneken Pis ein Kostüm spendieren will, muss sich bei einer städtischen Kommission um diese Ehre bewerben. Die prüft penibel, ob Brüssels Wahrzeichen nicht für Reklame oder politische Werbung zweckentfremdet werden soll. Dann schreitet ein beamteter Gewandmeister zur Tat und kleidet den ältesten Bürger der Stadt für einige Tage neu ein. Gemeinsam ist allen Kostümierungen nur eins: ein Schlitz für den kleinen Bronze-Schniedel, damit der Knabe immer tun kann, was er nun mal tun muss.

Schwesterchen fürs Manneken

An die 1.000 Trachten hat das Manneken Pis schon getragen. Eine Auswahl der schönsten können Touristen wenige Meter vom Brunnen entfernt im Stadtmuseum bewundern. Dort erfahren sie auch einige der Legenden, die sich um "Petit Julien" ranken. Eine erzählt von einem Jungen, der Brüssel im Mittelalter vor einem Brand bewahrte, indem er eine von Belagerern geworfene Fackel mit seinem Strahl löschte. Anderen Quellen zufolge soll der kleine Julian, Sohn eines Brabanter Herzogs, seinen Vater in eine Schlacht begleitet und den Feind durch Urinieren verhöhnt haben.

Belegt ist nichts von alledem. Vielleicht, so meint ein Fremdenführer, mögen die Brüsseler ihren Wildpinkler einfach seit je her als Sinnbild für den Geist der Revolte, als Symbol für Mut und Selbstironie. Vielleicht haben sie deshalb ihrem Manneken Pis ein Schwesterchen geschenkt. Wenige 100 Meter vom Originalbrunnen entfernt entledigt sich seit 1985 eine nackte Jeanneke Pis freudig ihres inneren Feuchtigkeitsüberschusses.

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