Anfang des 19. Jahrhunderts wird dem Schneidermeister Josef Madersperger in seiner Werkstatt in Wien die Handarbeit zu viel. Da hat er eine zündende Idee: Eine Maschine soll die Bewegung seiner nähenden Hand nachahmen - und ihm damit die Arbeit erleichtern.
Madersperger beginnt zu experimentieren. Zu den Ergebnissen fertigt er komplizierte Zeichnungen an und notiert akribisch seine Überlegungen: "Wenn genäht werden soll, wird zum ersten auf den Schiebhöbel l gedrückt, damit das Sperrrad und Stichzähler die Spörstange verlässt, zum zweiten auf den Höbel d, damit der Stellwagen g den Arm a verlässt." Per Armkraft angetrieben bewegt sich eine feinmechanische Konstruktion, die sogenannte Nähhand, über ein Gestell, das mit Stoff bespannt ist und an einen Webstuhl erinnert.
Zu klamm fürs Patent
Geboren wird Madersperger am 6. Oktober 1768 in Kuftstein in Tirol. Er erlernt bei seinem Vater das Schneiderhandwerk und zieht mit ihm 1790 nach Wien. Über einen Zeitraum von 40 Jahren entwickelt er insgesamt fünf Prototypen seines "Nähgerätes". Um 1810 hat er - zeitgleich mit anderen Erfindern - die geniale Idee, das Öhr an die Spitze der Nadel zu verlegen. Diese Nadel sticht von oben durch den Stoff, so dass sich auf der unteren Seite Fadenschlingen bilden, durch die ein zweiter Faden geschoben wird. Damit ist das Grundprinzip der heutigen Nähmaschine gefunden.
1814 beantragt Madersperger ein Patent, das damals noch Privileg genannt wird. Ein Jahr später wird es ihm bewilligt, unterzeichnet von Kaiser Franz persönlich. Doch Madersperger bezahlt die Gebühren nicht, angeblich weil er zu wenig Geld hat. Das Patent erlischt nach kurzer Zeit. Dennoch forscht Madersperger weiter.
Nur eine Nebenstraße
Die Nähmaschine wird nicht nur von einer einzigen Person erfunden. Außer in Österreich beschäftigen sich auch in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den USA Tüftler mit deren Entwicklung. "Madersperger ist eine interessante Nebenstraße dieser bedeutenden Erfindung", sagt dementsprechend Hubert Weitensfelder vom Technischen Museum Wien. Sein Beitrag habe nicht wesentlich zum Ziel geführt. Aber die Abstrahierung von der jahrhundertealten Schneidertätigkeit sei gedanklich ein großer Sprung.
Der Durchbruch gelingt 1843 dem Amerikaner Elias Howe: Er entwickelt die erste brauchbare, funktionstüchtige Nähmaschine mit Doppelnaht. Sein Landsmann Isaac Merritt Singer erkennt das Potenzial dieser Erfindung, entwickelt sie weiter und vermarktet sie teils aggressiv mit einem Vertretersystem und Schauräumen. Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt er mit der Serienproduktion von Nähmaschinen. Kurz zuvor stirbt Josef Madersperger im Oktober 1850 mittellos in Wien.
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