Es ist ein trauriger Anblick, als Gottfried Wilhelm Leibniz am 14. November 1716 in Hannover beerdigt wird. Alle Hofbediensteten des Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg sind offiziell eingeladen, den Bibliothekar zu Grabe zu tragen – aber niemand ist erschienen. Das hat einen guten Grund. Denn einer der letzten Universalgelehrten der Welt hatte keine Zeit für soziale Kontakte – die Bediensteten kannten ihn also schlichtweg kaum.
Rastlos brütet er Zeit seines Lebens über den philosophischen, theologischen, mathematischen und praktischen Fragen seiner Zeit. "Sitzt zu lange zu Nacht. Bewegt sich nicht viel", schreibt er dementsprechend einmal über sich in der dritten Person. "Ich fürchte, dass er wegen seiner unermüdlichen Studien, seines übermäßigen Nachdenkens und der Zartheit seines Körpers irgendwann einmal an irgendeiner hitzigen Krankheit stirbt."
"Die beste aller möglichen Welten"
Geboren wird Leibniz 1646 als Sohn eines Juristen und Moralphilosophen in Leipzig. Mit acht Jahren bringt er sich selbst Latein und Griechisch bei, 1661 schreibt er sich an der Universität seiner Geburtsstadt ein. Als er mit 20 Jahren promovieren will, wird er als zu jung abgelehnt. Schon früh versucht er, Anstellungen bei den gekrönten Häuptern der Welt zu erhaschen. Dem französischen König Ludwig XIV. bietet er seine Dienste als Berater an, ebenso dem chinesischen Kaiser und dem russischen Zaren, immer erfolglos. Tatsächlich landet er am Welfenhof von Hannover; 1676 wird er von Herzog Johann Friedrich zum Hofrat und 1691 von Herzog Ernst August zum Bibliothekar ernannt. Bis zu seinem Tod wird er dort bleiben – und in den vier Jahrzehnten doch stets nach Höherem streben.
In den vielen Stunden, in denen Leibniz universale Probleme zu lösen sucht, verfällt er auch auf sein berühmtes Postulat von der "besten aller möglichen Welten". Es besagt, dass Gott als vollkommenes Wesen die Welt nur in einem Mix aus Gut und Böse hat erschaffen können. Dem Menschen kommt die Fähigkeit zu, aus dieser Gemengelage das Beste zu machen und sein Potenzial im Sinne einer Weltverbesserung anzuwenden.
Wind, Witwen und Waisen
Leibniz selbst gelingt die Verbesserung der Welt mit seinen Ideen, die er zu jeder Tages- und Nachtzeit auf Zetteln notiert, nicht immer. Seine Projekte zu einem Unterseeboot, einer Art Maschinengewehr oder Weitsprungschuhen scheitern schon im Ansatz. Die von ihm entwickelte "Technik, eine Mauer hinauf zu laufen", bleibt ebenfalls ein frommer Wunsch. Auch die Rechenmaschine für die vier Grundrechenarten, die er der Londoner Royal Society 1673 vorführt, verrechnet sich. Trotzdem ist sie ein Meilenstein. Das darin zur Anwendung kommende "Staffelwalzenprinzip" bleibt zwei Jahrhunderte lang für Multiplikationen auf mechanischem Wege unverzichtbar.
Auch sonst ist Leibniz, der mit den großen Geistern seiner Zeit korrespondiert und die Aufklärung vorbereitet, auf vielen Feldern erfolgreich. Er verbessert Türschlösser und die Erzförderung im Bergbau, erfindet ein Gerät zur Messung der Windgeschwindigkeit und bereitet mit seinen Schriften der modernen Sprachwissenschaft den Weg. Er entwickelt die Dezimalklassifikation, die alles Wissen in zehn Sparten einteilt, und gründet eine Witwen- und Waisenkasse. Mit seiner "Dyadik" genannten Methode, alle Zahlen durch Nullen und Einsen darzustellen, schafft er die binäre Grundlage unserer digitalen Welt.
Auf seinem reich geschmückten Sarg steht 1716 sinnigerweise "Pars vitae, quoties perditur hora, perit": "Ein Teil des Lebens geht verloren, wenn eine Stunde vergeudet wird."
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 14. November 2016 ebenfalls an Gottfried Wilhelm Leibniz. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 15.11.2016: Vor 90 Jahren: Geburtstag des Schauspielers Helmut Fischer