"Wenn bei der Hausfrau Inke Beyer das Telefon schellt, denkt sie weniger an einen gemütlichen Plausch mit einer Freundin, als an einen Jugendlichen in Not." Das schreibt eine Zeitung im Herbst 1970 über das neu eingerichtete Kinder- und Jugendtelefon in Köln, das erste seiner Art.
Es sind drei Menschen, die Ende September 1970 das Kinder- und Jugendtelefon in Köln zum Klingen bringen. Die Lehrerin Helga Becker, der Diplomvolkswirt Harry Christ und eben Inke Beyer, Hausfrau und Mutter. Alle drei sind im Kinderschutzbund aktiv. Ihr Antrieb ist pure Nächstenliebe.
Werbung auf handgeschriebenen Plakaten
Rund um die Uhr kann man die drei ehrenamtlichen Seelsorger erreichen – und zwar unter ihrer privaten Telefonnummer. Werbung macht die Truppe über große handgeschriebene und handgemalte Plakate, die sie in Kölner Schulen aufhängt.
Den ersten Anruf nimmt Inke Beyer am 26. September 1970 entgegen. Er kommt von einem Jungen, der Liebeskummer hat: "Und da hatte ich das Gefühl, vielleicht hatte er auch mich gewählt, weil ich ja nun Hausfrau oder Mutter war und so."
Aber Inke Beyer ist vor allem auch die Frau eines Vorstandsmitglieds der Deutschen Bank, und als die "Bild"-Zeitung über die Aktion berichtet, wird das auch in Frankfurt gelesen. "Man hat bemängelt, das ginge nicht. Dass also die Telefonnummer eines Bankvorstandes gleichzeitig Notruf für Jugendliche ist. Da musste ich das auch dann aufgeben."
Die Nummer gegen Kummer
Helga Becker und Harry Christ machen weiter. Bis zu 800 Anrufen gehen jährlich bei ihnen ein. Es geht um Liebesleid und Liebesglück, Ängste vor den Eltern, Schwierigkeiten in der Schule.
Ausgebildet sind die Pioniere des Kinder- und Jugendtelefons nicht. Sie machen einfach, folgen ihren Herzen und ihren Erfahrungen. Schulungen gibt es da noch nicht.
Unter Obhut des deutschen Kinderschutzbundes
Im Laufe der 50 Jahre allerdings wird der Service immer professioneller: vor allem unter der Obhut des deutschen Kinderschutzbundes werden die ehrenamtlichen Mitarbeiter bundesweit koordiniert. Natürlich geht das nicht mehr über Privatanschlüsse: 116 111 lautet heute "die Nummer gegen Kummer".
An die fünf Millionen Anrufe gab es seit dem Beginn gesicherter statistischer Aufzeichnungen. Nur wenige Scherzanrufe sind darunter. Viel öfter geht es um massive Schwierigkeiten wie Suizidgedanken, sexuellen Missbrauch oder Gewalt in der Familie. Und immer noch um Liebeskummer.
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