Mary Shelley, Lord Byron und Claire Clairmont im Film

September 1816 - Das Jahr ohne Sommer

Stand: 25.09.2016, 00:00 Uhr

1816 ist Johann Wolfgang Goethe zu Tode betrübt. Zum einen beklagt er den Tod seiner Ehefrau Christiane. Zum anderen will es draußen nicht aufhören zu gewittern und zu regnen, was den Dichterfürst noch melancholischer macht. Die innere und äußere Schlechtwetterfront vereint Goethe im Gedicht.

"Du versuchst, o Sonne, vergebens / Durch die düstren Wolken zu scheinen", heißt es darin. "Der ganze Gewinn meines Lebens / Ist, ihren Verlust zu beweinen."

Vulkanstaub als Ursache

Gewitterstürme in Osteuropa, Wolkenbrüche in China und Indien, Abkühlung in Ostasien, und überall undurchdringlicher Nebel, den nicht zuletzt der britische Maler William Turner in atmosphärische Bilder bannt: Die Sommermonate 1816 sind das reinste Grauen. Grund für das apokalyptische Szenario ist eine Naturkatastrophe auf Sumbawa im Indischen Ozean ein Jahr zuvor. Mehr als 100 Kubikkilometer Asche schleudert der Vulkan Tambora in die Luft – es ist der größte Ausbruch seit Menschengedenken.

Eine solche Wucht hat die Eruption, dass Staubpartikel und Schwefelgase bis in die Stratosphäre gelangen. Dort formieren sie sich zu "Aerosolen": Tröpfchen, die das Sonnenlicht absorbieren. Missernten sind die Folge. Das Korn verschimmelt, die Kartoffeln verfaulen noch in der Erde, Obst bleibt unreif, das Vieh findet keine Nahrung mehr. Die Bauern müssen ihre Knechte, Handwerker ihre Gesellen entlassen: Ein Heer von Arbeitslosen und Bettlern überschwemmt die Städte.  Im Westen Europas kommt es zu Gewalt. Und zu riesigen Flüchtlingsströmen nach Russland und Amerika.

Kreative Kopfgeburten

 Von dieser Kettenreaktion können drei junge Engländer am Genfer See 1816 noch nichts ahnen, obwohl auch sie mit dem miserablen Wetter beschäftigt sind: der Dichter Lord Byron, sein Leibarzt John Polidori und die 18-jährige Mary Shelley. Ihre schlechte Laune versuchen sie mit Opiumsaft und einem Literaturwettbewerb zu heben:  eine Schauergeschichte soll jeder von ihnen, den meteorologischen Gegebenheiten entsprechend, schreiben.

"Die schöne Sonne war verglüht: die Sterne / Verdunkelt kreisten sie im ew’gen  Raum", dichtet Byron. "Der Morgen kam / Und ging und kam und brachte keinen Tag." Während die Blitze über den Genfer See zucken, schreibt Shelley eine sich zum Roman ausweitende Geschichte über einen Schweizer Wissenschaftler namens Victor Frankenstein, der mit Hilfe von Elektrizität ein menschliches Wesen erschafft. Und Polidori steuert die Erzählung namens "Der Vampir" bei: Der Vater aller Blutsauger und Dracula-Varianten im Horror-Genre ist geboren.

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 25. September 2016 ebenfalls an das Jahr ohne Sommer. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

Stichtag am 26.09.2016: Vor 45 Jahren: "Republik Christiania" in Kopenhagen ausgerufen