"Das ist Denver-Clan im Ruhrgebiet. Was hier abgelaufen ist, ist einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte." Im Oktober 1991 reagiert der Hoesch-Betriebsratschef Werner Nass wütend auf eine Mitteilung von Krupp: Das Essener Konkurrenzunternehmen hat heimlich ein Viertel der Dortmunder Hoesch-Aktien gekauft. Man strebe die Mehrheit an - zum Wohle beider Firmen und ihrer fast 100.000 Beschäftigten.
Die Idee ist nicht neu. Seit Jahren gibt es Pläne für Allianzen und Fusionen zwischen den Stahlkonzernen an der Ruhr, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Ende der 1980er Jahre schreibt beispielsweise Berthold Beitz, Chef der Krupp-Stiftung, eine Art Bittbrief an den Hoesch-Konzernchef Detlef Carsten Rohwedder. Dieser sagt prompt Hilfe zu.
Provokation von Hoesch
Rohwedder tut dies allerdings auf eine ungewöhnliche Art und Weise - sagt Karl-Peter Ellbrock, früher Hoesch-Vorstandsmitarbeiter und heute Direktor des Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Dortmund. Denn Rohwedder habe Beitz zum Rücktritt aufgefordert, damit er selbst dessen Nachfolge bei der Krupp-Stiftung antreten könne.
"Dieser Stachel saß natürlich tief und wird sicher auch bei der Entscheidung von Krupp, dann Hoesch-Aktien in großem Stil zu kaufen, um die Übernahme voranzutreiben, eine gewichtige Rolle gespielt haben", sagt Wirtschaftshistoriker Ellbrock. Krupp-Chef Gerhard Cromme erklärt allerdings: "Uns geht es bei diesem Konzept nicht um die Majorisierung, sondern wir wollen Partnerschaft."
Elf Stunden Sitzungsmarathon
Mit seinem Konzept überzeugt Cromme zunächst Banken und Politik. Er wird Hoesch-Aufsichtratsvorsitzender. Nun müssen nur noch die Hoesch-Aktionäre formell das Ende der eigenen Firma besiegeln. Bei der außerordentlichen Hauptversammlung der Hoesch AG am 27. Juli 1992 geht es für Versammlungsleiter Cromme um sehr viel. Er darf keinen Anlass für spätere Anfechtungsklagen geben. Nach über elf Stunden Sitzungsmarathon in der Westfalenhalle ist es soweit: Fast 100 Prozent der Aktionäre stimmen für die Fusion.
Es folgen tiefe Einschnitte in Dortmund und im Ruhrgebiet. 1993 schließt das Krupp-Werk in Rheinhausen. 1997, fünf Jahre nach der Hoesch-Übernahme, folgt der noch größere Coup: der Zusammenschluss mit Thyssen. Das bedeutet das Ende der Rohstahlerzeugung in Dortmund. 2001 wird das Stahlwerk Phoenix-Ost im Stadtteil Hörde stillgelegt und komplett abgebaut. Dort entsteht die sogenannte Phoenixsee-Siedlung.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 27. Juli 2017 ebenfalls an die Zustimmung der Hoesch-Hauptversammlung zur Fusion mit Krupp. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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