Der Panoramablick aus 134 Meter Höhe ist atemberaubend. Wer sich bis ganz nach oben traut, dem liegt die City von Sydney und die Hafenbucht mit dem berühmten Opernhaus zu Füßen. Drei Millionen Menschen haben schon eine geführte Klettertour durch die Stahlstreben der Harbour Bridge gewagt und angeseilt den mächtigen Brückenbogen erklommen.
Mit acht Fahrbahnen, zwei Bahngleisen, Rad- und Fußwegen ist die Sydney Harbour Bridge seit 85 Jahren eine der Hauptverkehrsadern der australischen Millionenstadt. "Kleiderbügel" wird sie wegen des 503 Meter überspannenden Bogens genannt. Mehr als sechs Millionen Nieten halten die weltbekannte und insgesamt 1.149 Meter lange Brücke zusammen.
Von New York kopiert – von Briten errichtet
Zu Beginn des 20 Jahrhunderts braucht das boomende, aber finanzschwache Sydney eine Verkehrsachse, die das Stadtzentrum im Süden mit dem Nordufer des Hafens verbindet. John Bradfield, Chefingenieur des australischen Teilstaats New South Wales, favorisiert den Bau einer Auslegerbrücke. Dann aber sieht er bei einer USA-Reise in New York die gerade nach dem neuesten Stand der Technik errichtete Stahlbogenbrücke Hell Gate – und kopiert den Entwurf.
Finanziert von Londoner Investoren vergibt Bradfield auch den Bauauftrag an ein britisches Unternehmen. Eine heikle Wahl, denn die Firma Dorman Long hat bisher nur wenige kleine Brücken errichtet. Für die Sydney Harbour Bridge aber müssen die größten je konstruierten Stahlträger zusammengeschweißt und -genietet werden. Doch nach dem ersten Spatenstich 1923 wächst das 50 Meter breite Ungetüm binnen sechs Jahren von beiden Ufern aus millimetergenau zusammen. 16 Menschen kommen bei den Arbeiten ums Leben.
Keine Einladung für König Georg
Während des Baus gilt die Hafenbrücke als Sydneys "eiserne Lunge": In der großen Depression der Weltwirtschaftskrise gibt sie 5.000 Männern Lohn und Brot. Im März 1932, 30 Jahre nach Planungsbeginn, ist die Harbour Bridge vollendet. Bis alle Kredite in Höhe von über zehn Millionen Pfund (geplante Kosten: 4,2 Millionen) an die britischen Finanziers zurückgezahlt sind, werden weitere 54 Jahre vergehen.
750.000 Menschen, mehr als die Hälfte der Einwohner Sydneys, strömen am 19. März 1932 zur Eröffnung ihres imposanten "Kleiderbügels". Zur gleichen Zeit erleidet in England König Georg V. einen Tobsuchtsabfall. Jack Lang, der sozialistische Premierminister von New South Wales, hat es nämlich gewagt, weder den Monarchen noch sonst einen Vertreter des Königshauses zu dem Festakt einzuladen. Obwohl die Harbour Bridge zu den größten Bauleistungen des British Empires zählt und von englischen Banken finanziert wurde!
Eklat bei der Eröffnungsfeier
König Georg wird es gefallen haben, dass auch der geltungssüchtige Premier Lang die Brücke nicht als Erster eröffnen kann. Denn bevor der "Politiker in Überlebensgröße" (Neue Zürcher Zeitung) zur Tat schreitet, prescht zu Pferd ein ultranationalistischer Ire in Husarenuniform durch die Polizeiabsperrung und durchtrennt das Einweihungsband mit einem Kavalleriesäbel. Der bekannte rechtsextreme Einwanderer wird verhaftet, das Band neu gespannt und dann übergibt Jack Lang Australiens neues Wahrzeichen offiziell dem Verkehr.
Den von Chefingenieur John Bradfield geplanten Rekord als längste Bogenbrücke der Welt kann die Harbour Bridge aber nicht beanspruchen. Noch während des Baus wird sie von der später begonnenen und früher fertiggestellten Bayonne Bridge in New York – nicht ganz zufällig – um knapp acht Meter übertroffen. Seit 1992 wird die Harbour Bridge durch einen Tunnel unter dem Hafen von Sydney entlastet. Trotzdem überqueren noch immer täglich rund 160.000 Autofahrer den "Kleiderbügel" und genießen die grandiose Aussicht.
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