Deutsche Spieler und Bundestrainer Schön (3. v. rechts) mit Linienrichter Bachramov nach dem "Wembley-Tor"

11. Juli 1966 - Beginn der Fußball-WM in England

Stand: 11.07.2016, 00:00 Uhr

Noch bevor der Ball rollt, ist ein kleiner Hund namens Pickles bereits der große Held der 8. Fußball-Weltmeisterschaft. Nur dank der schwarz-weiß gescheckten Promenadenmischung bleibt Gastgeber England eine Blamage sondergleichen erspart. Der Coupe Jules Rimet war im März 1966 bei einer Ausstellung in London gestohlen worden und Scotland Yard suchte vergeblich nach dem goldenen Weltpokal. Pickles bewies zum Glück eine bessere Nase.

Beim Gassigehen stöbert er die Trophäe im Gebüsch eines Londoner Vorgartens auf. Zur Belohnung darf sich Pickles am 11. Juli 1966 in der Ehrenloge des Wembley-Stadions das Eröffnungsspiel anschauen und anschließend die Reste des Festbanketts verputzen. Es ist nicht die einzige Kuriosität dieser WM. Die Engländer weigern sich, die Nationalhymne des Turnierteilnehmers Nordkorea zu spielen. Deshalb beschließt die Fifa salomonisch, außer beim Finale auf sämtliche Hymnen zu verzichten.

Eine Granate von Beckenbauer

Das Eröffnungsspiel der Engländer gegen eine äußerst rustikal zu Werke gehende Elf aus Uruguay endet torlos. Der deutschen Mannschaft des neuen Bundestrainers Helmut Schön gelingt ein optimaler Start. Beim 5:0 gegen die Schweiz trifft der 20-jährige Franz Beckenbauer gleich zwei Mal und Italien-Legionär Helmut Haller erzielt die beiden ersten seiner insgesamt sechs Turnier-Treffer. Nur Portugals Topstürmer Eusebio ist am Ende mit neun Toren erfolgreicher. Nach einem torlosen Spiel gegen Argentinien und einem 2:1-Sieg über Spanien zieht Deutschland ebenso wie England als Gruppenerster ins Viertelfinale ein. Titelverteidiger Brasilien und Mitfavorit Italien müssen bereits nach der Vorrunde heimreisen.

Im Viertelfinale gegen die knochenharten Uruguayer muss die DFB-Elf Einiges einstecken. Binnen fünf Minuten werden zwei Südamerikaner vom Platz gestellt. Verteidiger Troche verabschiedet sich mit einem Schlag ins Gesicht von Mannschaftskapitän Uwe Seeler; der heißblütige Silva muss gar von vier Polizisten vom Rasen geholt werden. Am Ende gewinnt Deutschland 4:0 und trifft im Halbfinale auf die Sowjetunion. Beckenbauer erzielt grandios die Führung und Radioreporter Kurt Brumme schwärmt: "Das war eine Granate! Ein Ball, der wie ein Strich anmutete und der in die Ecke hinein zischte wie ein Komet!" Auch Haller trifft wieder, Deutschland siegt 2:1 und steht im Endspiel.

"Nicht im Tor. Kein Tor. Oder doch?"

Am folgenden Tag schafft England mit seinem überragenden Kapitän Bobby Moore gegen Portugal den Final-Einzug und gilt als haushoher Favorit gegen die "Krauts". Schiedsrichter des WM-Endspiels am 30. Juli ist der Schweizer Gottfried Dienst, einer seiner Linienrichter ist Tofiq Bachramov aus Aserbaidschan. Vor knapp 100.000 Zuschauern im Wembley-Stadion bringt Helmut Haller die Hausherren in der 12. Minute in Rückstand, kurz darauf gelingt Geoff Hurst der Ausgleich. Als Martin Peters in der 78. Minute für England trifft, scheint die WM entschieden. Doch Sekunden vor dem Abpfiff schiebt Wolfgang Weber den Ball zum 2:2 über die Torlinie und erzwingt die Verlängerung, die in die Fußballgeschichte eingeht.

In der 101. Minute knallt Hurst einen Schuss unter die Latte des deutschen Tors, der Ball springt zurück und wird von Weber ins Aus geköpft. Verwirrung - die Engländer drehen jubelnd ab, die deutschen Spieler und Bundestrainer Schön protestieren. Auch ARD-Kommentator Rudi Michel ist ratlos: "Nicht im Tor. Kein Tor. Oder doch?" Schiedsrichter Dienst befragt den Linienrichter und Bachramov signalisiert energisch: Tor! England geht 3:2 in Führung und wird am Ende mit 4:2 zum ersten Mal Weltmeister. Jahre später erklärt Bachramov, den Ball beim ominösen "Wembley-Tor" gar nicht hinter der Linie, aber oben im Netz gesehen zu haben. Außerdem habe ihn der spontane Jubel der englischen Spieler von einem Treffer überzeugt. In den 90er Jahren weisen Ingenieure der Universität Oxford durch die Auswertung von Fotos und Filmen zweifelsfrei nach: Das Wembley-Tor war gar keins.

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