Adolf Hitler ist seit zehn Monaten an der Macht, da erlassen die Nationalsozialisten ein Gesetz, das im In- und Ausland gefeiert wird – selbst von politischen Gegnern. Als "unverwekliches Ruhmesblatt in der Geschichte der menschlichen Kultur" soll es "für die ganze Welt vorbildlich sein".
So steht es im Vorwort des am 24. November 1933 verabschiedeten ersten deutschen Tierschutzgesetzes. Hart bestraft wird nun, wer "ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht". In den Vereinigten Staaten wird Hitler dafür von Tierschützern mit Ehrenurkunden und Goldmedaillen ausgezeichnet.
"Jüdisch verseuchte" Tiere
Doch das neue Gesetz, als Meilenstein in der Beziehung von Mensch und Tier gefeiert, entpuppt sich als trojanisches Pferd. Denn bei genauer Lesart dient es nicht dem Tierwohl, sondern der Durchsetzung der rassistischen Nazi-Ideologie. "Es ging vor allem um die Ausgrenzung von Juden, Sinti und Roma", sagt die Historikerin Mieke Roscher.
So kriminalisiert das Reichstierschutzgesetz das orthodoxe Judentum, in dem Schlachttiere traditionell geschächtet, also ohne Betäubung ausgeblutet werden. Außerdem, so Roscher, dient es als Hebel, um die mit Tierversuchen befassten Wissenschaften gezielt von jüdischen Medizinern zu "säubern".
Das Verbot der Dressur wilder Tiere wird nicht gegen "arische" Zirkusse angewendet, sondern gegen als "Zigeuner" verhasste Sinti und Roma mit ihren fahrenden Tierschauen. Später dürfen jüdische Familien gar keine Haustiere mehr halten. Sie müssen ihre Hunde, Katzen und Vögel ausliefern, die als "jüdisch verseucht" getötet werden.
Systemkonforme Tierquälerei
Zuständig für die Auslegung des Tierschutzgesetzes sind die Veterinärmediziner. Als Berufsgruppe, die sich freiwillig mit dem Nazi-System verbündet hat, erhält sie die Deutungshoheit über "arische" Tierliebe und "volksschädliche" Tierquälerei – und damit über Menschen. "Das ist das Interessante, dass man über die Kontrolle über Tiere die Kontrolle über Menschen hergestellt hat", sagt die Historikerin Roscher.
Der Schutz von Tieren verbessert sich im Dritten Reich dagegen kaum. Wenn es dem Regime dient, darf weiter systematisch gequält werden, sei es bei medizinischen Tests oder im militärischen Einsatz. Mieke Roscher schätzt, dass im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende Hunde als Minenträger zerfetzt wurden. Und von den fast drei Millionen Pferden der Wehrmacht kehren die wenigsten lebend zurück.
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- 24. Juli 1972 - Neues Tierschutzgesetz verkündet | mehr
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 24. November 2018 ebenfalls an das erste Tierschutzgesetz. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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