Der industrielle Aufschwung lockt in der zweiten Hälfte die 19. Jahrhunderts nicht nur Arbeiter, sondern auch Unternehmer ins Ruhrgebiet. So auch William Thomas Mulvany. Der Ire gründet in Castrop die Zeche Erin und veranlasst den Bau einer Pferderennbahn mit Naturhindernissen.
Die Rennbahn soll die sportliche Qualität der bislang abgehaltenen Flachrennen verbessern, bei denen Landwirte ihre Gebrauchspferde gegeneinander antreten lassen. Als Standort wählt man das Gelände rund um das Haus Goldschmieding, ein Herrensitz aus dem Mittelalter, den die Familie Mulvany erworben hat.
Über Hecken und Gräben
"Der Parcours führte genau in einem großen Bogen um das Haus Goldschmieding herum", beschreibt Thomas Jasper, Leiter des Castrop-Rauxeler Stadtarchivs das Gelände. Die Reiter müssen Hecken überspringen und Gräbern überwinden. Die Castroper Rennbahn gilt bald als eine der schwersten Naturbahnen im westlichen Europa.
"Am ersten Renntag kam es zu ganz massiven Stürzen", erzählt Jasper. "Die meisten Unfälle ereigneten sich an einem Graben, der mit sumpfigen Ausläufern versehen war." Ein Pferd bricht sich das Genick, ein Reiter zieht sich einen Schulterbeinbruch zu.
Einmal im Jahr hat Castrop ein Nachtleben
Für die Bevölkerung sind die Rennen eine willkommene Abwechslung. Schon zum ersten Renntag, am 31. Juli 1875, kommen die Besucher in Strömen. Es gibt vier Pferderennen, das Preisgeld beträgt insgesamt 2.900 Mark. Zwei Jahre später sind die Renntage schon ein Volksfest mit 12.000 Besucher, 1892 kommen sogar 25.000 zahlenden Gäste.
"Die Bergleute hatten frei und es gab keine Polizeistunde, sondern einmal im Jahr hatte Castrop ein Nachtleben", notiert der Castroper Heimatdichter Heinrich Haslinde über die Renntage. Während der zwei Weltkriege pausen die Rennen, nach Kriegsende gehen die Pferde wieder an den Start.
Hohes Verletzungsrisiko, niedriges Preisgeld
In den 1960er Jahren nimmt da Interesse dann ab. Die Pferdezucht wird lukrativer, schnelle Tiere wertvoller und die Besitzer wollen diese nicht mehr in Castrop starten lassen, wo das Verletzungsrisiko hoch und die Preisgelder niedrig sind. Auch die Konkurrenz in der Nachbarschaft nimmt mit der modernen Galopprennbahn in Dortmund und den sich etablierenden Trabrennen in Recklinghausen und Gelsenkirchen zu.
Am 28. Juni 1970 kommen bei strömenden Regen nur 421 zahlende Zuschauer. Das ist das Aus für die Castroper Renntage. Das Gelände wird 2003 unter Denkmalschutz gestellt und ist heute ein Naherholungsgebiet.
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