Beim Richtfest für das erste Großbordell Deutschlands spielt eine Blaskapelle auf: "Und wünsche Glück und Segen dem Bau und seinem Herrn, und allen, die auf ihren Wegen in dieses Haus einkehren." Dabei zieht der Polier den geschmückten Richtkranz in die Höhe. Und diejenigen, die einmal in "dieses Haus einkehren", das sind die Prostituierten und Freier.
"Das ging hauptsachlich über die Behörden. Die haben zu mir gesagt: Hör mal, Bartels, du hast doch die schönen Grundstücke auf St. Pauli, die noch unbebaut sind. Wir wollen die Prostitution von der Straße haben, bau' uns doch ein Bordell", erinnert sich Willi Bartels. König von St. Pauli wird er wegen seines stattlichen Immobilienbesitzes auf dem Kiez genannt.
Doch erst muss er seine Ehefrau überzeugen. "Aber ich habe das mit vielen Schmeicheleien durchsetzen können", sagt Bartels. Und seine Frau gibt dem Großbordell auf der Reeperbahn den Namen Eros-Center. Am 29. September 1967 öffnet es.
Diskret im Verborgenen soll sich alles abspielen
Das Eros-Center soll 1967 sogar das größte Bordell der Welt gewesen sein. In Deutschland jedenfalls sind Freudenhäuser dieser Art nicht verbreitet. 140 Prostituierte finden dort ihr "wohnliches Daheim", wie ein Journalist berichtet. "Mit Rüschentapete, Einbauschrank und Bidet im Bad. 25 Mark Miete zahlt die Untermieterin für Komfort und Hygiene, frische Bettwäsche inklusive", heißt es in dem Bericht weiter. 25 Mark – das ist die Miete pro Tag. Dazu gibt es zum Schutz der Frauen einen Sicherheitsknopf hinter dem Bett.
Durch einen Tunnel erreichen die Männer den Kontakthof, wo sie auf die Frauen treffen. Erst wenn sich beide einig geworden sind, darf der Freier ihr durch kahle Kachelgänge ins Zimmer folgen. Diskret im Verborgenen soll sich alles abspielen, nicht vor den Augen der Passanten. Die Doppelmoral gilt auch auf der Reeperbahn – jedenfalls wenn es nach den Behörden geht, die das Etablissement offiziell "Mädchenwohnheim" nennen.
Experten der Kriminalpolizei zweifeln zunächst, ob die bunten Lichter die Freier nicht verschrecken. Doch die Geschäfte laufen: Ein Jahr später eröffnet Willi Bartels ein zweites Großbordell, den Palais d’Amour, ein paar Häuser weiter.
Männer gehen durch das Laufhaus wie durch einen Supermarkt
Beide Etablissements existieren nicht mehr, zu groß ist ab Mitte der 1980er-Jahre die Angst vor AIDS. Im Eros-Center stehen Zimmer leer und Willi Bartels baut um. Spätaussiedler und Asylbewerber ziehen in die Häuser ein. Statt Großbordellen sind heute sogenannte Laufhäuser an der Reeperbahn verbreitet.
"Der Unterschied: Im Laufhaus arbeiten die Frauen auf eigene Kasse. Sie zahlen den Zimmerpreis, und ob sie keinen Freier haben oder zehn, das müssen sie selbst mit sich klären", erklärt die Schriftstellerin Nora Bossong, die im Rotlichtmilieu recherchiert hat. Statt im Kontakthof zu stehen, sitzen die Frauen auf Barhockern vor ihrer Tür, während die Freier durch die Gänge streifen und die Frauen mustern.
"Die Männer können wie durch einen Supermarkt gehen. Können sich angucken, welche dieser Frauen ihnen gefällt. Man kommt ins Geschäft oder auch nicht. Man einigt sich vor der Tür", sagt Bossong. Dabei wollen die Kunden möglichst viel für wenig Geld – wie so oft im Handel.
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