24.02.1926 - Erich Loest wird geboren

Stand: 24.02.2016, 00:00 Uhr

"Liebe Montagsgemeinde des Friedensgebets, wenn wir uns Montag für Montag hier versammeln, dann hat das seine Gründe", sagt Schauspieler Ulrich Mühe als Pfarrer in einer Szene des Films "Nikolaikirche". Vorlage ist der 1995 erschienene Bestseller von Erich Loest, der von zwei Geschwistern erzählt: Er ist Stasi-Offizier, sie ist Architektin. Die Frau droht, an den Widersprüchen des DDR-Regimes zu zerbrechen, und schließt sich den Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche an. Loest verwebt in seinem Roman die Geschichte einer Familie mit der Geschichte der DDR und Ereignissen im Wendejahr 1989. "Lessing hat gesagt, ein Drama sollte möglichst an einem Küchentisch sein", erklärt Loest. Ein enger Raum, wo die Konflikte ausgetragen werden. "Und so habe ich es gemacht in 'Nikolaikirche'. Es ist eine gute Methode."

Der am 24. Februar 1926 im sächsischen Mittweida geborene Loest ist der erste Schriftsteller, der die Wende-Ereignisse in einen größeren Zusammenhang stellt. Er ist Jungvolkführer in der Hitlerjugend gewesen, hat sich 1944 der NSDAP angeschlossen und als Freiwilliger eines sogenannten Werwolf-Kommandos an der Endphase des Zweiten Weltkriegs teilgenommen. Nach kurzer US-Kriegsgefangenschaft kehrt er im Mai nach Mittweida zurück, holt sein Abitur nach und wird Redakteur bei der "Leipziger Volkszeitung". Im Winter 1946 tritt er in die SED ein. "Es ist schon verdächtig, wenn so was so schnell geht", schreibt Loest später in seinem Erinnerungsbuch "Durch die Erde ein Riss" (1981). "Aber es musste ja schnell gehen, und uns Jungen ist keine Zeit gelassen worden, nachzudenken, zu bereuen, Demokraten zu werden."

Als Konterrevolutionär in Bautzen

Bereits 1953 kommen Loest Zweifel am politischen System der DDR. Auslöser ist der Arbeiteraufstand vom 17. Juni. Daraufhin habe er sich gesagt: "Du bist jetzt alt genug, du musst jetzt endlich deinen eigenen Kopf nehmen, du darfst nicht schon wieder dein Gewissen an der Garderobe irgendeiner Partei abgeben." Bis dahin hatte Loest als freier Schriftsteller mehrere Bücher publiziert, die dem Publikum und der Partei gefielen. Als Vorsitzender des Schriftstellerverbands Leipzig gilt er als linientreu. Als Loest nun die fehlende Offenheit der SED und das Festhalten an stalinistischen Überzeugungen kritisiert, gerät er ins Abseits. 1957 wird er wegen "konterrevolutionärer Gruppenbildung" verhaftet und zu 7,5 Jahren Haft in Bautzen verurteilt.

Seinen Gefängnisaufenthalt bezeichnet Loest später als "gemordete Zeit". Schreiben kann er nicht, weil ihm Papier vorenthalten wird. Seine Gesundheit leidet: "Ich habe eine ganze Kette von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren gehabt." Nach seiner Entlassung schreibt er unter Pseudonymen wie Hans Walldorf Krimis - nicht ganz freiwillig. "Für Hans Walldorf gab es Papier und für Loest nicht", so der Autor. Als Walldorf hat er Erfolg: Allein "Der Mörder im Wembley-Stadion" wird 70.000 Mal verkauft und ins Russische, Ukrainische und ins Tschechische übersetzt. In den 1970er Jahren befasst sich Loest wieder mit einem Gegenwartsstoff. Im Roman "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" (1978) erzählt er vom Alltag in der DDR: dem Schlangestehen, den Tauschgeschäften, dem Drill im Leistungssport und der Schnüffelei der Stasi. Doch das Buch verschwindet nach der zweiten Auflage von abermals 10.000 Exemplaren vom Markt. Das ist für Loest der Anlass, 1981 die DDR gemeinsam mit seiner Frau und den drei Kindern zu verlassen.

Von Freunden bespitzelt

In der Bundesrepublik ist Loest weiterhin produktiv. Seine Leizpig-Romane "Völkerschlachtdenkmal" und "Zwiebelmuster" erscheinen, er arbeitet für den Rundfunk, schreibt einen "Tatort" und wird Zweiter Vorsitzender des Verbandes Deutscher Schriftsteller. Nach dem Mauerfall geht er zurück nach Ostdeutschland. In Leipzig erlebt er eine Montagsdemonstration mit, die letzte vor Weihnachten 1989. Wenige Monate später erscheint "Der Zorn des Schafes", das erste Buch, in dem Loest berichtet, wie er jahrelang von der Stasi bespitzelt worden ist. Im Februar 1991 folgt die Dokumentation "Die Stasi war mein Eckermann. Oder: mein Leben mit der Wanze". "Als ich durch die Lektüre meiner Aktenberge dann merkte, dass einige meiner guten Freunde Spitzel gewesen sind, war das für mich und meine Familie natürlich ein großer Schock", erinnert sich Loest. Das Schlimmste sei gewesen, dass keiner von sich aus auf ihn zugekommen sei. "Sie haben alle gewartet, dass ich dahinter kam."

Seine Erfahrungen verarbeitet Loest in weiteren Romanen und Erzählungen - darunter "Gute Genossen" (1999) über kleine SED-Mitglieder, die sich durchlavieren und "Sommergewitter" (2005) über den 17. Juni 1953. Sein größter Erfolg aber bleibt "Nikolaikirche". Als ihm sein Körper immer mehr zu schaffen macht, setzt er seinem Leben ein Ende: Am 12. September 2013 stürzt er sich im Alter von 87 Jahren in Leipzig aus einem Fenster der Universitätsklinik. Zu seinem Begräbnis hat er sich gewünscht: "Keine Reden, keine Lügen, Champagner!"

Stand: 24.02.2016

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