Kaiserin Victoria ist verzweifelt: Seit Jahren hat sie darauf gewartet, dass ihr Mann Friedrich an die Macht kommt und sie mit ihm Reformen durchsetzen kann. Die Tochter der britischen Königin will das preußisch-militaristisch geprägte Deutschland in ein parlamentarisches System nach englischem Vorbild wandeln.
Doch als der Schwiegervater Wilhelm I. am 9. März 1888 mit 90 Jahren stirbt, ist Friedrich bereits unheilbar an Kehlkopfkrebs erkrankt. "Wie viel Gutes hätte er tun können! Möge die Zeit ihm gegeben und es ihm gegönnt sein, seinem Volk und Europa zum Segen zu gereichen", so die Hoffnung der Gemahlin.
Kaiser für nur 99 Tage
Tatsächlich kann Friedrich III. bei seiner Krönung schon nicht mehr sprechen. Es bleiben ihm 99 qualvolle Tage, in denen er seine Anordnungen auf Zettel kritzelt und immer wieder über sein Schicksal weint.
Große Entscheidungen kann der 56-Jährige nicht mehr herbeiführen. Er hebt einige Liberale in den Adelsstand und setzt den reaktionären preußischen Innenminister Puttkammer ab. An den Weggefährten seines Vaters, Otto von Bismarck, hält der Kaiser jedoch fest – obwohl seine Frau den eigenmächtigen Reichskanzler verabscheut.
Das Mythos vom verpassten liberalen Wandel
Lange hält sich der Glaube, dass Friedrich III. die Geschicke Deutschlands in ganz andere Bahnen gelenkt hätte, wäre ihm denn nur mehr Zeit geblieben. Historiker wie Andreas Rose bezweifeln jedoch den liberalen Mythos, der dem Kaiser anhängt: "Fest steht, dass Friedrich auf seine Vorrechte als Monarch gepocht hätte, auch das Militär hätte er als eine Säule der preußischen Politik weiterhin betrachtet."
Wahrscheinlich hätte er an der einen oder anderen Stelle besonnener reagiert als sein Sohn Wilhelm, der mit dem Tod Friedrichs III. am 15. Juni 1888 den Thron besteigt. Zwischen der Witwe Victoria und ihrem Sohn herrscht da nur noch blanker Hass. "Willie ist chauvinistisch und ultra-preußisch in einem Grade und mit einer Gewalt, die für mich oft schmerzlich ist", urteilt die Mutter. Für die liberalen Ideen seiner Eltern hat Wilhelm II. nichts übrig.
"Zu Großem sind wir noch bestimmt"
Bismarck ist ähnlich besorgt wie seine Feindin Victoria: Er fürchtet die Unberechenbarkeit des jungen "Brausekopfes", seine großmäuligen Auftritte und die engen Kontakte zu den Kriegstreibern. Das Verhältnis zwischen Kaiser und Kanzler kühlt rasch ab.
Es soll nicht lange dauern, bis der ehrgeizige junge Kaiser Bismarck aus dem Amt jagen wird. Der junge Wilhelm II. ist überzeugt: "Zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen."
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