Es geht ein Riss zwischen "West und Ost" (Symbolbild)

15. April 2010 - Arbeitsgericht Stuttgart fällt "Ossi"-Urteil

Stand: 15.04.2020, 00:00 Uhr

Mitte Juli 2009 bewirbt sich Gabriela S. als Buchhalterin bei einem schwäbischen Fensterbau-Unternehmen. Doch daraus wird nichts: Anfang August 2009 erhält sie eine Absage und ihren Lebenslauf zurück.

Schockiert findet sie darauf den handschriftlichen Vermerk "Ossi" und ein eingekreistes Minuszeichen. Neben ihren Tätigkeitszeiten steht zudem an zwei Stellen: "DDR".

Arbeitsgericht Stuttgart spricht "Ossi-Urteil" (am 15.04.2010)

WDR 2 Stichtag 15.04.2020 04:07 Min. Verfügbar bis 13.04.2030 WDR 2


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1988 aus der DDR übergesiedelt

Tatsächlich hat Gabriela S. noch vor dem Mauerfall die DDR verlassen. 1988 ist sie von Ost-Berlin in die Nähe von Stuttgart übergesiedelt, wo sie seit über 20 Jahren lebt und arbeitet.

Für die Fensterbau-Firma ist sie aber offenbar immer noch "Ossi", also so eine Art innerdeutsche Ausländerin. Weil sich die 49-Jährige diskriminiert fühlt, engagiert sie Wolfgang Nau, Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Mangelnde Qualifikation?

Es handele sich um ein Missverständnis, erklärt ihm das Unternehmen. Nicht die ostdeutsche Herkunft von Gabriele S. habe zur Ablehnung geführt, sondern ihre mangelnde berufliche Eignung.

Das glaubt Anwalt Nau nicht. "Dann kam ich auf die Idee, dass die ehemaligen DDR-Bewohner eine eigene Ethnie gebildet hatten." Unter anderem habe es Dinge wie die Jugendweihe und eine andere Staatsform gegeben.

Klage abgewiesen

Ethnien aber dürfen nicht diskriminiert werden. "Auf der Grundlage habe ich dann außergerichtlich einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht", sagt Nau. Das Unternehmen sei aber "völlig uneinsichtig" gewesen, deshalb sei es zur Klage gekommen.

Am 15. April 2010 fällt das Arbeitsgericht Stuttgart das Urteil: "Die Klage wird abgewiesen." Die Bezeichnung "Ossi" erfülle nicht das Merkmal der ethnischen Herkunft im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

Keine eigene Ethnie

Ostdeutsche seien keine eigene Ethnie, so die Richter. Dafür habe die DDR nicht lange genug existiert. Um als eigener Volksstamm durchzugehen, brauche es beispielsweise auch eine eigene Sprache, nicht nur eigene Dialekte.

Anwalt Nau geht in Berufung. Doch bevor es zur zweiten Verhandlung kommt, treffen sich der Geschäftsführer des Unternehmens und Nau zufälligerweise vor der Tür des Landgerichts, beide in anderen Fällen unterwegs.

Einigung auf der Straße

Nau schlägt dem Geschäftsführer erneut eine außergerichtliche Lösung vor. "Dann kam die Einigung innerhalb von fünf Minuten zustande auf der Straße."

Schade eigentlich, meint Nau. Er hätte es gerne auf ein Grundsatzurteil ankommen lassen.

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