Engländer haben eine innige Beziehung zum Geld. Wer ihnen an die Coins will, wird barsch brüskiert - im besten Fall mit dem ihnen eigenen Humor. Am 15. Februar 1971 erlebt Großbritannien seinen zweiten "D-Day" in der Geschichte. Nur diesmal findet die Invasion nicht in der Normandie, sondern im eigenen Portemonnaie statt: Am "Decimal Day" wird das Pfund ins Dezimalsystem überführt.
Ein Pfund besteht fortan aus 100 Pence und löst ein sich über Jahrhunderte entwickeltes sperriges Rechenkonstrukt ab, das außerhalb Großbritanniens kaum einer mehr versteht. "Die Grundlage waren zuvor zwölf Pence. Zwölf Pence ergaben einen Shilling und 20 Shilling ein Pfund. Dafür bekam man Sovereign - eine 20-Shilling-Münze", erklärt Chris Barker vom britischen Museum der königlichen Münzanstalt das alte System.
"Ein großer Teil unseres Matheunterrichts ging dafür drauf, zu lernen, wie man mit Geld umgeht", erinnert sich ein älterer Herr im Londoner Bankenviertel. Nicht nur Pfund, Schilling und Pence müssen die Kinder auf der Schulbank pauken. Daneben gibt es Sixpence und Thropenny, Halfpenny, Farthing, Half-Farthing, Quarter-Farthing, Crown, Half Crown und noch einige Münzen mehr - alle mit unterschiedlichen Umrechnungsfaktoren gegeneinander und alle bis 1971 reguläre Zahlungsmittel. Und so ist dann einer der Hauptgründe für den Wechsel, dass mit der neuen Rechnung bis zu sechs Monate Schulzeit eingespart werden könne.
Erste Wechselgedanken schon 1816
Außerdem ist das Vereinigte Königreich eines der letzten Länder der Welt, das 1971 seine Währung auf das gängige Dezimalsystem umstellt. Dabei kursiert die Idee schon lange. Bereits 1816 gibt es erste Überlegungen im Unterhaus, alle Teile der Währung in dezimale Beziehungen zueinander zu setzen. In den folgenden Jahren empfehlen viele Kommissionen die Umstellung - alleine schon, weil es sich mit zehn Fingern besser rechnen lässt.
Doch das Volk bleibt stur. "Das Geld ist gut genug für uns, was kümmert uns der Rest der Welt? Schau Dir das Empire an. Diese Währung hat es aufgebaut!", beschreibt Barker die seinerzeit vorherrschende imperiale britische Haltung. "Würden wir die Dezimalwährung in diesem Land zwangsweise einführen, es gäbe innerhalb einer Woche eine Revolution!", warnt Premierminister Herbert Henry Asquith noch 1911.
Apokalyptische Ankündigungen
Erst als es nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem britischen Empire sichtbar zu Ende geht, erkennt man die Vorteile des Rechnens im Zehnersystem. Schließlich beschließt Großbritannien die Umstellung. Kurz vor dem offiziellen Termin schlagen die Wogen noch einmal hoch. "Nicht bereit für D-Day" titelt etwa der "Observer" und bemerkt eine "Unsicherheit und bisweilen Panik" bei jedem, der älter als acht Jahre alt ist. "Wir haben im Museum eine ganze Reihe von Presseausschnitten mit apokalyptischen Szenarien", sagt Münzexperte Barker. Aber trotz aller Untergangs-Prophezeiungen gewöhnen sich die Menschen schnell an das neue System. Die alten Münzen verschwinden und Pence werden zur gängigen Preisauszeichnung.
Fest verankert bleiben dagegen anderer krumme Maßeinheiten, mit denen die Briten immer noch rechnen: Ounzes, Pints, Stone, Gallons, Miles, Yards, Feet und Inches. Auch diese sollen eigentlich mit der Währung dezimalisiert werden. Dennoch halten sie sich bis heute als Recheneinheiten. "Bei der Währung gab es keine Alternative, nach Ablauf einer Frist konnte man die alten Münzen nicht mehr benutzen", sagt Barker. Aber bei Gewichten, Entfernungen und anderen Maßeinheiten sei das immer noch Sache der Leute. Und das Volk hänge an den alten Rechengrößen. "Die Menschen werden sich nur dann umstellen, wenn sie keine Alternative haben", ist sich Barker sicher.
Stand: 15.02.2016
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