Otto John, Präsident des bundesdeutschen Verfassungsschutzes, löst 1954 einen Skandal aus. Er nimmt am 14. Juli - dem zehnten Jahrestag des Stauffenberg-Attentats - in West-Berlin an einer Gedenkveranstaltung zu Ehren der Hitler-Verschwörer teil. Dann verschwindet er - und taucht noch am selben Tag in der DDR auf.
Was ist passiert? Darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Er sei betäubt und nach Ostberlin entführt worden, so schildert es John in seinen Memoiren. Erkenntnisse der West-Berliner Polizei legen jedoch den Schluss nahe, dass John aus eigenem Antrieb in die DDR gegangen ist.
Von Alt-Nazis angefeindet
Die Vorgeschichte: Der am 19. März 1909 in Marburg geborene Rechtsanwalt gehört zu den Widerstandskämpfern gegen das Nazi-Regime. Wie sein Bruder Hans ist er an der Vorbereitung des Stauffenberg-Attentats beteiligt. Nach dem Scheitern des Attentats wird sein Bruder hingerichtet. John flüchtet nach England.
1950 wird er Leiter des neu geschaffenen Bundesamtes für Verfassungsschutz. Damit gehört John zu den wenigen Widerstandskämpfern, die in der jungen Bundesrepublik ein hohes Staatsamt haben. Er hat viele Feinde: frühere NS-Funktionsträger, die erneut in staatliche Positionen gelangt sind.
Zu Pressekonferenzen gezwungen
Während der Gedenkfeier am 14. Juli 1954 habe John festgestellt, dass grinsende BKA-Personenschützer anwesend gewesen seien, die er als ehemalige Gestapo-Mitglieder gekannt habe - sagt Historiker Michael Wala von der Universität Bochum.
Was anschließend folgt, ist ungeklärt. Gesichert scheint, dass John im Osten Gespräche mit KGB-Mitarbeitern führt. Als er abgelehnt habe, als Doppelagent zu arbeiten, sei er festgehalten worden - so seine Darstellung. Man habe ihn in der DDR zu Pressekonferenzen gezwungen.
Als Landesverräter verurteilt
Dort habe erklären müssen, er sei freiwillig in die DDR gekommen - aus Sorge über den Einfluss "alter Nazis" in Bonn, wie etwa von BND-Chef Reinhard Gehlen und Adenauers Staatssekretär Hans Globke. Das Spiel der Sowjets habe er mitgespielt, bis der passende Moment zur Flucht gekommen sei.
Knapp 17 Monate nach seiner Ankunft in Ost-Berlin kehrt John am 12. Dezember 1955 in die BRD zurück. Zehn Tage später wird er verhaftet, wegen Landesverrats angeklagt und zu vier Jahren Haft verurteilt, 1958 aber vorzeitig entlassen.
Für Professor Wala ist John kein "Vaterlandsverräter" und DDR-Sympathisant, sondern eher ein Patriot, der sich selbst überschätzt und glaubt, etwas für die Wiedervereinigung erreichen zu können.
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 12. Dezember 2020 ebenfalls an die Rückkehr des DDR-Überläufers Otto John. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 13.12.2020: Vor 100 Jahren: Gründung der Firma Haribo in Bonn