Wir schreiben an der Fußgängerampel eben eine SMS, posten in der Bahn einen Kommentar bei Facebook oder schicken an der Supermarktkasse eine Frage an die What's App-Gruppe. Wer glaubt, diese Art der Kommunikation sei neu, der irrt. Kurzmitteilungen prägen unser Leben schon lange – nur unter einem ganz anderen Namen: dem Telegramm.
Telegramm statt telegrafische Depesche
Der Name Telegramm stammt von dem US-amerikanischen Juristen E. P. Smith aus Rochester. Am 6. April 1852, einem Dienstag, schreibt er einen kurzen Artikel für das Albany Evening Journal. Darin schlägt er eine neue, einheitliche Bezeichnung für die modernen Mitteilungen vor, die bis dahin telegrafische Depesche, Kabel oder Drahtnachricht heißen: Telegramm. Sein Begriff setzt sich später nach und nach durch.
Ausgeliefert innerhalb von zwei Stunden
Telegramme sind bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die einzige Möglichkeit, Nachrichten schnell zu übermitteln. Telefone sind kaum verbreitet und ein Brief braucht durchschnittlich vier Tage. Noch 1978 werden in der BRD rund 13 Millionen Telegramme versandt, heißt es in einer Statistik der Deutschen Bundespost.
Aufgegeben werden die Telegramme in einem Postamt, ausgeliefert von Postzustellern – meist innerhalb von zwei Stunden am Tag, des Nachts innerhalb von vier Stunden. Weil nach Anzahl der Wörter abgerechnet wird, schreiben viele Menschen bald im Telegramm-Stil, formulieren also so knapp wie möglich: "Ankomme Sonntag 12 Uhr".
Telegramme, die Geschichte machten
Telegramme sind aus unserer Geschichte nicht wegzudenken.
Sie hätten die Titanic vielleicht gerettet – wenn der Kapitän sie nicht ignoriert hätte. Alle Warnmeldungen zusammen betrachtet, hätten dem Kapitän gezeigt, dass er auf ein Eisfeld zusteuert.
Und Kurt Georg Kiesinger nutzt das Telegramm während der Studentenproteste im April 1968 ganz bewusst. "Ich bin über das Attentat auf ihren Mann aufs Tiefste empört", schreibt er im Telegramm im Namen der Bundesregierung an Gretchen Dutschke-Klotz, Rudi Dutschkes Ehefrau.
Damit will er die politisch brisante Situation so schnell wie möglich unter Kontrolle bekommen.
Telegramme sind vor allem in der DDR beliebt und notwendig. Telefone besitzen nur wenige Menschen. Ankunftszeiten, Glückwünsche, Geburten – wichtige Nachrichten werden per Telegramm übermittelt.
Telegramme werden bis heute zugestellt
Spätestens seit der Wiedervereinigung ist das Telegramm in Vergessenheit geraten, ersetzt durch Telefone, E-Mails und Textnachrichten. Ende 2000 gibt die Deutsche Post den offiziellen Auslands-Telegramm-Dienst auf.
Innerhalb Deutschlands stellen die Postboten bis heute Telegramme zu – jedoch immer erst am nächsten Werktag und tatsächlich nur noch selten.
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