Gewerkschaftsführer Carl Legien ist offenbar ein schwieriger Mensch. "Von rücksichtsloser Grobheit", wie Zeitgenossen bemerken. "Fast schien es zuweilen, als wollte er die Menschen absichtlich von sich abstoßen", sagt Mitgewerkschafter Theodor Leipart, einer der wenigen, die ihm nahestehen.
Dennoch setzt sich Legien unermüdlich für soziale Verbesserungen ein. Ihm verdankt Deutschlands Arbeiterschaft, was es international damals nirgendwo gibt: den Acht-Stunden-Tag, ausgehandelt im sogenannten Stinnes-Legien-Abkommen von 1918.
Pragmatischer Kämpfer
Fast 30 Jahre lang hat Legien zuvor an der Spitze der von ihm 1890 mitgegründeten "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" agiert. So nennt sich der erste nationale Dachverband der Arbeitnehmervertretungen - quasi der Vorläufer des heutigen DGB.
Legien sitzt auch für die SPD im Reichstag, setzt sich jedoch für die Unabhängigkeit der Gewerkschaften von der Partei ein. Legien ist kein Revolutionär. Pragmatisch kämpft er für fairen Lohn, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten.
Während des Ersten Weltkriegs tritt er im Reichstag für den "Burgfrieden" der Parteien ein und befürwortet den Ausschluss der Linken aus der SPD-Fraktion.
Lehre als Drechsler
Der am 1. Dezember 1861 im westpreußischen Marienburg geborene Legien stammt nicht aus dem Arbeitermilieu. Sein Vater ist Zollbeamter. Dennoch hat es Carl als jüngstes von 13 Kindern nicht leicht. Seine Mutter stirbt früh, seinen alkoholkranken Vater verliert er im Alter von zwölf Jahren.
Legien kommt in ein Waisenhaus, beginnt mit 14 eine Lehre als Drechsler. 1887 startet er seine Funktionärskarriere als Vorsitzender des Hamburger Drechslerverbandes. Mit einem Bein steht er dabei im Gefängnis - wie alle Gewerkschafter. Bismarcks Sozialistengesetz sieht sie als Staatsfeinde.
Geheime Liebe
Ebenfalls in Haft kommen könnte Legien wegen seiner Liebe zu einer verheirateten Frau, der Feministin und Gewerkschafterin Emma Ihrer. Eine sogenannte wilde Ehe ist im Wilhelminischen Kaiserreich eine Straftat. Doch die jahrelange Beziehung bleibt ein Geheimnis.
Kein Geheimnis ist hingegen Legiens Alkoholismus. Dennoch ist seine Tatkraft dadurch kaum beeinträchtigt. Er reist zu Vorträgen im Rheinland, nach Thüringen, Genua, Paris und in die USA. Er schreibt nahezu alle Artikel der zentralen Gewerkschaftszeitung.
Emma Ihrers Tod 1911 wirft Legien aus der Bahn. Er wird schwer krank, noch abweisender, stirbt schließlich am 26. Dezember 1920 mit 58 Jahren in Berlin.
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