25. Mai 1973 - Skandal um "Das große Fressen" beim Cannes Filmfestival

Stand: 25.05.2018, 00:00 Uhr

"To be or not to be", deklamiert Michel anfangs in Hamlet-Pose, hält einen Schweinskopf an sein Gesicht und lässt dazu einen kräftigen Furz. Regisseur Marco Ferreri verliert keine Zeit, den schockierten Zuschauern klar zu machen, was sie in seinem neuen Film erwartet.

Uraufführung von "Das große Fressen" in Cannes (am 25.05.1973) WDR 2 Stichtag 25.05.2018 04:04 Min. Verfügbar bis 22.05.2028 WDR 2

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Eigentlich, sagt der skandalerprobte Italiener, habe er sein Werk "Fressen, ficken, scheißen, sterben" betiteln wollen – was den Inhalt der makabren Filmsatire treffend wiedergibt. Mit "Das große Fressen" (La grande bouffe) serviert Ferreri eine provokante Kino-Kalorienbombe, die vielen Premierengästen bei den Filmfestspielen in Cannes schlagartig die Laune und den Appetit verdirbt.

Essen, bis das Klo platzt

Vier befreundete Lebemänner, allesamt des Lebens Freuden überdrüssig, versammeln sich in einer alten Vorstadtvilla zu einem finalen Essgelage. Einige Huren, eine voluminöse Lehrerin und wahre Gebirge von Delikatessen sollen ihnen das orgiastische Hinscheiden versüßen.

Andréa Ferréol als Muse der Völlerei in "Das große Fressen" | Bildquelle: wdr

Und so huren und fressen Philippe, der Richter, TV-Produzent Michel, Gastronom Ugo und der Pilot Marcello, was Libido und Gedärme hergeben. Angewidert verlassen die Huren bald die Villa. Nur Andrea, die Lehrerin, leistet dem Quartett weiter mit vollem Körpereinsatz Sterbehilfe. Es wird gerülpst, gefurzt und verdaut, bis das Klo platzt und alles in Exkrementen schwimmt.

Am Ende verrecken die lebenssatten Freunde mehr oder weniger genüsslich, wie sie es geplant haben. Dafür, dass "Das große Fressen" trotz aller Sauerei nicht zur Ekel-Klamotte herabsinkt, sorgen die Darsteller. Denn mit Philippe Noiret, Michel Piccoli, Marcello Mastroianni und Ugo Tognazzi hat Marco Ferreri die Creme der französischen und italienischen Charakterschauspieler engagiert.

Nationale Schande oder grandiose Satire?

Die Premiere in Cannes löst bei Publikum und Kritik einen Eklat sondergleichen aus. Die Darsteller werden angepöbelt und Frankreichs Konservative laufen Sturm gegen die Frontalattacke auf den "guten Geschmack".  Die bürgerliche Presse zerreißt den Film als infamen Anschlag auf die Ehre der Nation.

Progressive Kritiker dagegen verstehen "Das große Fressen" als vulgäre, aber grandiose politische Satire auf eine dekadente, selbstzerstörerische Konsumgesellschaft.  45 Jahre nach der Skandalpremiere gilt Marco Ferreris größter Kinoerfolg als Meilenstein der Filmgeschichte – zu einem unverändert aktuellen Thema.

Programmtipps:

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