Münster, 16. März 1946: Zehntausende jubeln in der fast völlig zerstörten Innenstadt Bischof Clemens August Graf von Galen zu. Er ist gerade aus Rom zurückgekehrt, wo ihn Papst Pius XII. zum Kardinal ernannt hat. Zwischen 1936 und 1945 hat sich Galen mehrfach öffentlich gegen die Nationalsozialisten gerichtet. Dass er damals nicht verhaftet wird, ist ein Verdienst der Katholiken seines Bistums, bei denen er sich nun bedankt: "Dass Ihr hinter mir standet. Und dass die damaligen Machthaber wussten: Wenn sie den Bischof schlagen, das ganze Volk sich geschlagen gefühlt hätte."
Der am 16. März 1878 im münsterländischen Dinklage geborene von Galen ist dabei durchaus selbst- und machtbewusst: "Der liebe Gott hat mir diese Stellung gegen, die es mir zur Pflicht machte, das Schwarze schwarz und das Weiße weiß zu nennen." Er stammt aus einem Adelshaus. Dort gelten der katholische Glaube und der Gehorsam gegenüber Autorität als Richtschnur. Das wird für den Bischof von Galen auf Dauer zur Zerreißprobe, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Denn jeder katholische Bischof muss in der NS-Zeit bei seiner Ernennung einen Treueeid auf den Staat ablegen. Deshalb, so Wolf, stelle sich für von Galen immer wieder die Frage: "Bleibe ich beim Gehorsam oder wann wird die Stimme des Gewissens so laut, dass ich gegen den Gehorsam handeln muss?"
Anzeige wegen Mordes
Nach der Pogromnacht 1938 bietet von Galen der jüdischen Gemeinde an, öffentlich für sie einzutreten. Dazu kommt es allerdings nicht, weil die jüdische Seite aufgrund einer solchen Stellungnahme weitere Repressalien befürchtet. Im Krieg eskaliert Galens Konflikt mit den Nationalsozialisten: Martin Bormann - damals Stabsleiter bei Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess und später Adolf Hitlers Privatsekretär - befiehlt am 13. Januar 1941 in einem Geheimerlass den sogenannten Klostersturm. Die Klöster sollen in NS-Einrichtungen umgewandelt, Mönche und Nonnen vertrieben werden. Dieses Vorgehen prangert von Galen am 13. Juli 1941 in einer Predigt an.
Er erfährt außerdem vom sogenannten Euthanasie-Programm. Bis zu 100.000 Behinderte sind bereits vergast worden. Von Galen erstattet Anzeige wegen Mordes. "Nie, unter keinen Umständen darf der Mensch außerhalb des Krieges und der gerechten Notwehr einen Unschuldigen töten", sagt von Galen am 3. August 1941 in seiner wohl bekanntesten Predigt. "Wenn man die unproduktiven Mitmenschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als Schwerkriegsverletzte, als Krüppel, als Invaliden in die Heimat zurückkehren." Drei Wochen danach werden die Morde an behinderten Menschen wegen der Proteste gestoppt. Später wird das Euthanasie-Programm allerdings weitergeführt - unter strenger Geheimhaltung und in kleinerem Umfang.
Gott als oberste Instanz
Von Galen wird als "Löwe von Münster" populär. Katholiken schreiben seine Predigten ab, drucken und verbreiten sie. Gegen den Bischof von Münster gehen die Nationalsozialisten nicht vor. Sie wollen das katholische Westfalen während des Krieges nicht gegen sich aufbringen. Dafür verschleppen sie Priester, Drucker und deren Angehörige in Konzentrationslager. Viele von ihnen sterben dort. "Der größte Teil von uns Münsteraner Priestern wurde in Dachau von der SS empfangen bei der Vorstellung mit den Worten: 'Ach, Sie sind wieder so ein Opfer des Herrn von Galen'", sagt Pastor Johannes Sonnenschein aus Ahaus.
Von Galen ist dennoch ein stramm national eingestellter westfälischer Kirchenfürst. Weil er den Kommunismus für das größte Übel hält, rechtfertigt er den Zweiten Weltkrieg als eine Art Kreuzzug gegen den Bolschewismus, insbesondere den Überfall auf die Sowjetunion. Für den kirchlichen Bereich ist aus seiner Sicht allerdings nur eine Obrigkeit zuständig: Gott. Das bekräftigt er noch einmal auf dem Domplatz in Münster, wo ihn die Gläubigen als Kardinal empfangen: "Deren Haltung durch diese ganze Zeit es mir ermöglicht hat, für Gott und sein Reich zu kämpfen." Sechs Tage später, am 22. März 1946, stirbt Clemens August von Galen mit 68 Jahren an einem Blinddarm-Durchbruch.
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
Stichtag am 04.08.2016: Vor 2.480 Jahren: Todestag von Pharao Xerxes