Die Ungeduld der Wähler eröffnet Wahlforschern am Wahltag ein zusätzliches Betätigungsfeld. Denn zwischen der Schließung von Wahllokalen und dem amtlichen Endergebnis vergeht viel Zeit. Die Öffentlichkeit möchte aber möglichst schnell wissen, wie die Entscheidung ausgefallen ist. Deshalb gibt es nicht nur Hochrechnungen auf der Basis bereits ausgezählter Stimmbezirke.
Seit der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 präsentieren die Medien auch jene Wahlabend-Komponente, die damals neu dazugekommen ist: Prognosen, die am Wahltag selbst entstanden sind. "Sie beruhen nicht auf Ergebnissen von Umfragen vor der Wahl, wo nach Wahlabsichten gefragt wird, sondern sie beruht auf einer Umfrage über tatsächliches Wahlverhalten", sagt Gerd Depenbrock, ehemaliger langjähriger Leiter des WDR-Hauptstadtstudios.
Zwei Mal den Wahlschein ausfüllen
Für die sogenannte Nachfrage werden die Wähler am Wahltag vor ihrem Wahllokal von Interviewern abgefangen und gefragt: Wie haben Sie gerade gewählt? Das ist allerdings bei rund 62 Millionen Wählern bundesweit und 80.000 Wahllokalen nicht flächendeckend möglich. "Also haben wir uns dann überlegt: Reicht es denn, wenn wir vor jedem Wahllokal oder vor ganz bestimmten Wahllokalen eine bestimmte Anzahl von Leuten befragen", sagt Reinhard Schlinkert, Leiter des Wahlforschungsinstitut Infratest-Dimap, das unter anderem für die ARD arbeitet. So suchen die Wahlforscher etwa 450 Wahllokale aus - und zwar danach, wie exakt sie bei früheren Abstimmungen das Endergebnis widergespiegelt haben. Berücksichtigt wird dabei ein möglichst repräsentativer Verteil-Mix, unter anderem nach den Kriterien Ost/West, Stadt/Land, arm/reich.
Am Wahlmorgen um acht Uhr postieren sich vor den ausgesuchten Wahllokalen die Interviewer. Nach dem Zufallsprinzip fangen sie die Wähler ab, die herauskommen. "Wir drücken ihnen noch mal den Wahlschein in die Hand und sagen: 'Bitte noch mal das Kreuzchen machen, da, wie Sie vorhin gewählt haben, und dann machen Sie noch ein Kreuzchen, wie alt Sie sind, was Sie bei der letzten Wahl gewählt haben, wenn Sie sich noch erinnern können'", erklärt Infratest-Dimap-Chef Schlinkert.
Erste Wahlprognose erst nach 18.00 Uhr
Gegen Mittag beginnen die Interviewer, schon einmal die Zweitstimmen zu zählen. Bis etwa 17.30 Uhr übermitteln sie alle Daten in die Zentrale. Bevor die Wahllokale um 18.00 Uhr geschlossen sind, darf man allerdings in Deutschland keine Wahlprognose-Zahlen veröffentlichen. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung gilt als Ordnungswidrigkeit, die bei Bundestagswahlen mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet wird.
Die erste Nachfrage-Prognose der ARD am 3. Oktober 1976 sagt damals - völlig korrekt und sehr genau - der sozialliberalen Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) den Sieg voraus. In den Jahren davor mussten die Zuschauer stets lange warten. Die ersten Hochrechnungen aufgrund der ausgezählten Stimmen gab es erst am späteren Abend.
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