Stichtag

23. Januar 1891 - Antonio Gramsci wird geboren

"Für die nächsten 20 Jahre müssen wir verhindern, dass dieses Gehirn funktioniert." Im Schauprozess gegen Antonio Gramsci lässt der Staatsanwalt 1928 keinen Zweifel daran, worum es geht. Der 1926 verhaftete Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) und Abgeordnete soll langfristig kaltgestellt werden. Benito Mussolini, der seit sechs Jahren das Land als faschistischer Diktator regiert, lässt seinen Gegner aus dem Weg räumen. Das Sondergericht verurteilt Gramsci unter anderem wegen Anstiftung zum Bürgerkrieg zu 20 Jahren, vier Monaten und fünf Tagen Kerkerhaft.

Bevor Gramsci weiß, wie der Prozess gegen ihn ausgeht, schreibt er am 10. Mai 1928 noch einmal an seine Mutter: "Ich möchte Dich fest an mich drücken, damit Du fühlst, wie gern ich Dich habe und wie ich Dich trösten möchte über den Kummer, den ich Dir gegeben habe: Aber ich kann nicht anders." Gramsci, der am 22., nach anderen Quellen am 23. Januar, 1891 auf Sardinien in Ales in der Provinz Oristano geboren wird, hat ein besonderes Verhältnis zu seiner Mutter. Während sein Vater, ein mittlerer Beamter im Katasteramt, wegen einer Intrige im Gefängnis sitzt, kümmert sie sich um die sieben Kinder. Gramsci dankt es ihr mit einer lebenslangen Verbundenheit. Der kleine Nino ist ihr Sorgenkind: Er erkrankt an Knochentuberkulose, ist deshalb missgebildet und hört bald auf zu wachsen. Mit vier Jahren ist er nach tagelangen Krämpfen völlig entkräftet: "Die Ärzte gaben mir keine Chance mehr, und meine Mutter hat bis 1914 den Kindersarg und das Totenhemd aufgehoben, die sie schon für mein Begräbnis gekauft hatte."

Flucht nach Moskau

Trotzdem schafft Nino die Grundschule - in allen Fächern mit Bestnoten. Mit elf Jahren arbeitet er zwei Jahre lang als Bürodiener im Katasteramt, um die Familie finanziell zu unterstützen. Damals entwickelt er seinen "Rebellionstrieb": "Er richtete sich von Anfang an gegen die Reichen, weil ich keine höhere Schule besuchen konnte", notiert Gramsci später. Dann schafft es Nino doch noch auf das Gymnasium. Sein älterer Bruder Gennaro unterstützt ihn mit Geld, trotzdem leidet Antonio an Unterernährung. 1911 macht Gramsci sein Abitur in Cagliari. Er bewirbt sich um ein Stipendium für ein Studium der Sprachwissenschaften in Turin. Nebenbei arbeitet er als Journalist für eine sardische Tageszeitung. 1913 tritt Gramsci in die sozialistische Partei ein. Er arbeitet als Redakteur für die sozialistischen Blätter "L'Avanti" und "Grido del Popolo", dessen Leitung er schließlich übernimmt. 1919 gründet er mit drei Genossen die Wochenzeitung "L'Ordine Nuovo".

Ebenfalls 1919 gründen die Faschisten unter Beteiligung von Mussolini Kampfverbände. In den nächsten Jahren werden fast täglich Gewerkschafter und Sozialisten bedroht. 1921 spalten sich italienischen Sozialisten im Streit um die richtige Parteilinie. Gramsci gründet mit anderen die KPI. Im Sommer 1922 rufen die Linken zur Abwehr des Faschismus einen Generalstreik aus, der allerdings scheitert. Daraufhin inszenieren die Faschisten ihren "Marsch auf Rom". Im Oktober 1922 wird Mussolini zum Ministerpräsidenten ernannt. Gramsci flieht nach Moskau, wo Lenin noch an der Macht ist. Dort lernt er die Violonistin Julka Schucht kennen und heiratet sie kurz darauf. Im Mai 1924 wird Gramsci bei der Parlamentswahl in Italien als Abgeordneter gewählt und zieht deshalb nach Rom. Zunächst genießt der Kommunist durch seinen Abgeordnetenstatus eine gewisse Immunität. Doch 1926 lässt ihn Mussolini verhaften.

Gedanken in 32 "Gefängnisheften" festgehalten

In Gefängnis leidet Gramsci unter der Trennung von seiner Frau und seinen beiden Söhnen, die sich aus Angst vor Verfolgung in Moskau aufhalten. In den ersten Haftjahren darf er nichts schreiben. Zu lesen bekommt er nur Fortsetzungsromane aus der Gefängnisbibliothek. Als er endlich die Erlaubnis bekommt, füllt Gramsci mit seiner Handschrift Heft um Heft. Seine Notizen sind heute als "Gefängnishefte" bekannt: ein Werk von 32 Heften mit insgesamt 2.848 Seiten. Enthalten sind darin Gedanken über die Geschichte der italienischen Intellektuellen, Niccolò Machiavelli und Karl Marx, über Volkskultur, Hegemonie und Zivilgesellschaft. Gramsci versteht sein Werk nicht als Lehrbuch, sondern als "Anhaltspunkte": "Sie sind alle genau zu überarbeiten und zu überprüfen."

In Gramscis Briefen aus dem Gefängnis lässt sich sein langsamer körperlicher Zerfall verfolgen. Tatjana Schuchter, die Schwester von Ehefrau Julka, lebt in Rom und wird zur Briefpartnerin Gramscis. Sie hält Kontakt zu seiner Familie in Moskau, versorgt ihn mit Medizin und Zeitschriften. Nach seinem Tod bringt sie seine Manuskripte in Sicherheit. Antonio Gramsci stirbt am 27. April 1937 mit 46 Jahren an den Folgen einer Tuberkulose in einer Klinik in Rom. Eigentlich soll er an diesem Tag nach fast elf Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden.

Stand: 23.01.2016

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