Portugal, zur Zeit der Salazar-Diktatur: Zwei Studenten stoßen in einem Café in Lissabon auf die Freiheit an. Kurz darauf werden sie verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Der britische Rechtsanwalt Peter Benenson liest in der Londoner U-Bahn über den Vorfall in der Zeitung und ist empört. Am 28. Mai 1961 veröffentlicht er in der Zeitung "The Observer" unter dem Titel "Die vergessenen Gefangenen" seine Idee einer unparteiischen internationalen Hilfsorganisation. Benenson ruft die Leser dazu auf, von Regierungen per Brief die Freilassung politischer Gefangener zu fordern. Rund 30 ausländische Zeitungen greifen seinen Aufruf auf. Die Resonanz ist groß: Freiwillige Helfer melden sich, Spenden treffen ein.
Ursprünglich ist die internationale Kampagne auf ein Jahr befristet, doch schon im Juli 1961 wird sie eine feste Organisation umgewandelt. Bereits im Juli 1961 wird die deutsche Sektion in Köln gegründet, unter anderem von den Journalisten Carola Stern und Gerd Ruge. Auch in anderen Ländern entstehen Zusammenschlüsse. Bei einem internationalen Treffen in Brügge erhält die Organisation den Namen "Amnesty International".
Menschrechtserklärung als Arbeitsgrundlage
Die Methode des Briefeschreibens ist erfolgreich. Nach eigenen Angaben betreut Amnesty International zwischen 1961 und 1970 insgesamt 4.000 Gefangene, 2.000 davon kommen frei. "Wir wissen, dass wir mit einer solchen Aktion die meisten Inhaftierten freibekommen", sagt Gabriele Stein, Sprecherin des Geschäftsführenden Vorstands von Amnesty International. Die sozialen Medien unterstützen heute die klassischen Kampagnen der Protestbriefe. Gleich geblieben ist der Leitspruch: "Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als sich über die Dunkelheit zu beklagen." Unverändert ist auch das Symbol der Organisation: eine mit Stacheldraht umwickelte Kerze auf gelbem Grund. 1977 wird die Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Grundlage der Arbeit von Amnesty ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Jeder Mitgliedstaat der UNO ist verpflichtet, die Erklärung einzuhalten. Die Menschenrechtsorganisation fordert von den Staaten also lediglich ein, wozu sie sich selbst bekannt haben. Benennen und beschämen, die Faustformel von einst, funktioniert, solange es Regierungen gibt, die Wert auf ihren Ruf legen. Davon gibt es allerdings immer weniger. Zudem steigt die Zahl regierungsloser Staaten, dort fehlen die Ansprechpartner von Amnesty ganz. Erschwerend kommt dazu, dass Menschenrechtsverletzungen vielschichtiger werden. Sie geschehen auch in Demokratien wie den USA oder in Europa.
Auch Einsatz für soziale Menschenrechte
Am Anfang engagiert sich Amnesty International für politisch Gefangene und gegen Folter. Mittlerweile setzt sich die Organisation auch für soziale Menschrechte wie das Recht auf Arbeit oder Bildung ein. Ein neuer Schwerpunkt ist zum Beispiel die elektronische Überwachung. Proteste gibt es, als Amnesty International sich für selbstbestimmte Sexarbeit einsetzt. Um sich nicht zu verzetteln, haben kürzlich die internationalen Vorstände der Organisation einen Vierjahresplan verabschiedet. 80 Prozent der Gelder sollen weltweit bis 2020 gebündelt werden: "Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Thema Flüchtlinge", sagt Gabriele Stein. Große Themen seien zudem die Geschlechtergerechtigkeit und die Verteidigung der Menschenrechte.
Die Menschenrechtslage ermitteln für Amnesty International rund 80 sogenannte Länder-Researcher. Diese arbeiten nach eigenen Angaben jedes Jahr für ein paar Wochen in den Ländern und sprechen mit Opfern, Angehörigen, Anwälten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen. Damit soll die Unabhängigkeit der Länderberichte gewährleistet werden.
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.