"Die wirkliche Eigenschaft von Absinth besteht darin, direkt ins Irrenhaus oder vor Gericht zu führen", heißt es Anfang des 20. Jahrhunderts. Denn oftmals wird schlecht oder gar nicht geläuterter Alkohol als Basis verwendet – mit großen Schäden für das menschliche Gehirn. Deswegen wird das Getränk, auch "grüne Fee" genannt, am 16. März 1915 in Frankreich verboten.
Das ist eine Katastrophe für den Markt, vor allem im französischen Jura, wo damals viele Menschen von der Destillation des Likörs aus Wermut, Anis, Fenchel und anderen Kräutern leben. "Im Jahr 1900 gab es allein in Pontarlier 25 Brennereien bei 8.000 Einwohnern", sagt die Biologin Marie-France Delahaye, Direktorin des Musée de l’Absinthe in Auvers-sur-Oise, nördlich von Paris.
Winzer kämpfen gegen Absinth-Hersteller
Ursache für den großen Erfolg des Absinth ist die Eroberung Algeriens im Jahr 1830. "Die Soldaten des Afrikakorps hatten Absinth als Medikament mitgenommen: Sie gossen ihn ins Wasser, um sich vor Durchfall und Fieber zu schützen. Das brachte sie auf den Geschmack. Bei ihrer Rückkehr führten sie die Absinth-Mode in die Cafés der Pariser Boulevards ein", sagt Marie-France Delahaye.
Doch nach und nach prangern bekannte Persönlichkeiten, darunter Politiker, Maler und Karikaturisten, den Alkoholismus an, der im Land massiv zunimmt. "Das Hauptargument der Antialkoholiker um 1900 war die Tatsache, dass Absinth zum französischen Nationalgetränk geworden war", erklärt Delahaye. Denn Frankreich ist traditionell ein Weinland. Die Winzer fahren damals hohe Verluste ein, zuerst wegen der Reblaus, dann wegen des neuen Modegetränks, das oft billiger ist als Wein.
"Alkohol ist eine herrliche Substanz als Leuchtmittel und Treibstoff. Wir wollen, dass man damit Lampen, Automobil-Tanks und Heizkessel-Brenner füllt. Aber nicht, dass man ihn in den Magen gießt", soll der frühere französische Präsident Jean Casimir-Périer beim ersten französischen Anti-Alkoholiker-Kongress 1903 gesagt haben. Unter der Banderole "Alle für den Wein und gegen den Absinth" applaudierten vor allem die Winzer.
Der Absinth siegt – auf lange Sicht
"Die Fraktion der Antialkoholiker sah in dem Gesetz den ersten Schritt zu einem allgemeinen Alkoholverbot", erklärt Marie-France Delahaye. Doch das kommt nie, im Gegenteil. "Die französische Regierung importierte zwei Jahre später Millionen Hektoliter Rum von der Antilleninsel Martinique", so Delahaye.
"Der Absinth wird siegen", rufen die Menschen 1915 bei den Demonstrationen gegen das Verbot. Und die Protestierenden haben recht behalten: Seit 2011 ist das Verbot von Absinth in Frankreich aufgehoben.
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