"Ich bin Nachrichten-Analyst bei der Army, stationiert im Osten Bagdads", schreibt US-Soldat Bradley Manning am 22. Mai 2010 in einem Chat mit dem Hacker Adrian Lamo. Dieser gibt sich als Freund der Enthüllungsplattform Wikileaks aus. Deshalb vertraut ihm Computerspezialist Manning und erzählt, er habe monatelang freien Zugang zu geheimen internen Netzwerken gehabt. Dabei sei er auf Dinge gestoßen, "die an die Öffentlichkeit gehören - und nicht auf einen Server in einem dunklen Raum in Washington". Manning beschreibt im Chat detailliert, wie er Dokumente aus den geheimen Datenbanken auf wiederbeschreibbaren CDs aus dem System geschmuggelt hat.
Noch während des etwa vier Tage dauernden Chats informiert Lamo die US-Armee. Am 26. Mai 2010 wird Manning verhaftet. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es aus Sicht der US-Behörden zu spät: Die kopierten Daten befinden sich bereits in der Hand des Australiers Julian Assange, der 2006 die Domain "wikileaks.org" registriert hat. Seit 2007 können dort Hinweisgeber geheime Dokumente hochladen. Die Internet-Plattform veröffentlicht die Unterlagen - vorausgesetzt, das Material ist nicht selbst verfasst, sondern ein Original, das für die Öffentlichkeit interessant ist.
US-Militärberichte aus Afghanistan und Irak
Für den Hacker und Aktivisten Assange sind Datenlecks Waffen gegen die Mächtigen: "Je verschlossener oder ungerechter eine Organisation ist, desto mehr ruft ein Datenleck Angst und Paranoia innerhalb seines Führungs- und Planungszirkels hervor", schreibt er am 31. Dezember 2006 in seinem Blog. Datenlecks führten daher dazu, dass die interne Kommunikation immer ineffizienter werde. "Daraus folgt ein systemweiter kognitiver Niedergang. Die Fähigkeit, an der Macht festzuhalten, schrumpft."
Im Juli 2010 stellt Wikileaks zunächst über 90.000 interne US-Militärberichte aus dem Afghanistan-Krieg online. Im Oktober 2010 folgen fast 400.000 solcher Berichte aus dem Irak-Krieg. Schließlich veröffentlicht Assange am 28. November 2010 über 250.000 Depeschen von US-Botschaften. Deren Angestellte berichten aus aller Welt an das US-Außenministerium, was von den Politikern im Ausland zu halten ist - auch von deutschen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei "selten kreativ", heißt es da. Sie sei wie "Teflon", alles perle an ihr ab. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) gilt als "arrogant, unfähig, aggressiv". CSU-Chef Horst Seehofer wird als "unberechenbar" geschildert.
Manning in Haft, Assange im Botschaftsexil
Die US-Regierung schäumt. Die Veröffentlichung gefährde Verbündete und Informanten der USA, sagt Außenministerin Hillary Clinton (Demokraten): "Das ist nicht nur ein Angriff auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, sondern ein Angriff auf die gesamte Weltgemeinschaft."
In Mannings Prozess, versucht die Anklage zu beweisen, dass er auch mit Assange gechattet hat. Das schlägt jedoch fehl. Dennoch wird der Soldat von einem Militärgericht zu 35 Jahre Gefängnis verurteilt. Auch Assange gerät unter Druck. Versuche, ihn wegen Spionage anzuklagen, misslingen. Als die schwedische Staatsanwaltschaft ihn wegen Vergewaltigungsvorwürfen vernehmen will, flüchtet sich Assange 2012 in die Botschaft Ecuadors in London, wo er sich bis heute aufhält. Denn er befürchtet, von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm kein fairer Prozess drohe. Mehrere amerikanische Politiker und Kommentatoren hatten öffentlich dazu aufgerufen, Assange zu töten. Obwohl Assanges Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, veröffentlicht Wikileaks weiterhin Geheimnisse.
Stand: 28.11.2015
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 28. November 2015 ebenfalls an die Enthüllung von geheimen US-Dokumenten durch Wikileaks. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.