Stichtag

13. Oktober 2010 - Dramatische Rettung verschütteter Bergleute in Chile

Das Unheil hatte sich angekündigt. Statt wie sonst ein, zwei Mal täglich hatte das Gestein in der Mine von San José am Vortag dauernd gekracht. Trotzdem machen sich Schichtleiter Luis Urzúa und seine Männer am 5. August 2010 tief unter der Atacama-Wüste an die Arbeit. Sie kennen das Risiko; die Gold- und Kupfermine von San José zählt zu den gefährlichsten Bergwerken Chiles. Mehrfach schon standen die Betreiber vor Gericht, weil sie Sicherheitsauflagen nicht eingehalten hatten. Verurteilt wurden sie noch nie.

Kurz vor 14 Uhr löst sich ein hunderttausende Tonnen schwerer Gesteinsbrocken und bringt den Minenstollen, der sich wie eine riesige Spirale nach unten windet, auf mehreren hundert Metern zum Einsturz. Einige Bergleute weiter oben können sich in Sicherheit bringen. Auch Luis Urzúa und seine 32 Mineure bleiben unverletzt, sind aber in der Tiefe eingeschlossen. Während ihr Kampf ums Überleben beginnt, läuft 700 Meter über ihnen die größte Rettungsaktion in der Geschichte des Bergbaus an.

Bilder, die um die Welt gehen

Die einzige Hoffnung der Verschütteten ist ein Luftschacht, doch die vorgesehene Rettungsleiter fehlt. Nach zwei Tage stürzt auch dieser Schacht ein. Nun sitzen sie endgültig in einem Schutzraum fest, mit nicht mehr als ein paar Dosen Fisch und etwas Milch. Oben treiben die Retter etliche Sonden in die Erde, um herauszufinden, ob die Eingeschlossenen noch leben. Am 22. August trifft ein Bohrer endlich die Decke über dem Schutzraum. Überglücklich hämmern die Bergleute gegen das Gestänge und signalisieren: Wir sind wohlauf. Eine Kamera wird herabgelassen, deren Bilder um die Welt gehen: 33 bärtige Gestalten mit freiem Oberkörper, abgemagert, erschöpft, aber lachend.

Wenige Tage später erhalten die Mineure durch ein größeres Bohrloch Nahrung und können per Video und Telefon mit ihren Angehörigen sprechen. Vier Wochen nach dem Unglück sind in der Wüste drei Großbohranlagen in Stellung gebracht. Beobachtet von rund 2.000 Medienvertretern aus aller Welt beginnen sie unabhängig voneinander, ein Loch zu bohren, dessen Durchmesser groß genug ist für eine Rettungskapsel. Das Ziel der Rettungsteams: Bis Weihnachten sollen die Bergleute wieder oben sein. Während über Tage Chiles Präsident Sebastián Piñera als oberster Retter vor den Kameras posiert, hilft einer der Eingeschlossenen, Mario Sepúlveda, den Kameraden auf seine Weise, ihre Lage zu ertragen. Er dreht Videos über sie und entpuppt sich als geborener Entertainer.

Chile im Freudentaumel vereint

Dann geht alles doch viel schneller als zunächst befürchtet. Am 9. Oktober gelingt der entscheidende Durchbruch zu den Eingeschlossenen. Mit 66 Zentimetern ist der Schacht breit genug für die Rettungskapsel "Fénix 2", einer Weiterentwicklung jener Dahlbuschbombe, mit der 1963 beim "Wunder vom Lengede" elf Bergmänner auf sensationelle Weise gerettet wurden. Am 13. Oktober, nach 69 Tagen Bangen und Hoffen und fast halbstündiger Reise aus 700 Meter Tiefe, erreicht Schichtleiter Luis Urzúa als letzter der 33 Verschütteten die Erdoberfläche. Nie zuvor konnten Menschen nach so langer Zeit aus so großer Tiefe befreit werden. Ein Ereignis, das ganz Chile in einem Freudentaumel vereint und das Millionen auf der ganzen Welt am Fernsehen miterleben.

Nach über zwei Monaten in ihrem Verlies finden sich die Geretteten nun in einem Leben als Medienstars wieder: Empfang beim Staatspräsidenten, TV-Auftritte in den USA, Einladungen zu Reisen und Vorträgen. Ein Millionär schenkt jedem der berühmten "33" umgerechnet 7.500 Euro. Doch die meisten werden schnell von ihrem alten Leben eingeholt. Fast alle Geretteten leiden unter Panikattacken und Depressionen, können nicht mehr arbeiten, manch einer flieht zu Alkohol und Drogen. 14 Bergleute erhalten 2012 eine Sonderrente von 350 Euro pro Monat zugesprochen, der Rest erhält keine Entschädigung. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Betreiber der Mine von San José werden 2013 eingestellt.

Stand: 13.10.2015

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