New York im Jahr 1967: Der Aachener Fabrikant Peter Ludwig will nicht nur die besten Zutaten für seine Schokoladenproduktion einkaufen, sondern wie immer bei Geschäftsreisen auch Kunstwerke erkunden. Dabei sieht er zusammen mit seiner Frau Irene zum ersten Mal die knalligen Werke der Pop Art. "Das traf uns wirklich wie ein Schock, weil solche Bilder nie vorher zu sehen waren", erinnert sich der promovierte Kunsthistoriker später. Ludwig ist begeistert von Künstlern wie Warhol, Lichtenstein, Johns und Rauschenberg, die farbig, schrill und provokant die Facetten der Konsumgesellschaft aufgreifen.
Ludwig kauft mit "Landscape No 2" von Tom Wesselmann - ein enorm großer VW-Käfer, der frontal aus dem Bild fährt - sein erstes Pop Art Bild. In den folgenden zwei Jahren erwirbt der besessene Jäger und Sammler 150 Werke. "Eines Tages werden die Amerikaner ihre eigene Kunst entdecken, dann können wir sie nicht mehr erwerben, also jetzt", sagt Ludwig. Der zudem allen klar macht, dass diese Bilder Kunst sind. Dank seines kulturpolitischen Verhandlungsgeschicks schafft er es, dass seine Sammlung amerikanischer und europäischer Avantgarde 1969 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gezeigt wird. In einem solchen Ausmaß ist zeitgenössische Kunst noch nie zuvor in ein klassisches Museum eingezogen.
Schöngeist baut Schokoladenimperium
Geboren wird Peter Ludwig am 9. Juli 1925 als Sohn eines Juristen in Koblenz. Seine Mutter stammt aus der industriellen Familie Klöckner. Er wächst in einem großbürgerlichen Umfeld mit Wert auf Bildung auf. Als Junge schließt sich Peter Ludwig der Hitlerjugend an, kehrt dem Regime jedoch Ende 1942 den Rücken. Nach Wehrdienst und amerikanischer Kriegsgefangenschaft studiert er Kunstgeschichte und Philosophie. 1951 heiratet er seine Kommilitonin Irene, Tochter des Aachener Schokoladenfabrikanten Monheim. Bereits während des gemeinsamen Studiums beginnen die beiden, erste Kunstwerke zu erwerben.
Nach der Dissertation über das Menschenbild Picassos steigt er in das Schokoladenunternehmen seiner Frau ein. Ludwig treibt dank des Wirtschaftswunders den Ausbau von Monheim mit Marken wie Trumpf zum Süßwaren-Imperium voran. Das Geschäft sei für ihn eine Erholung von der Kunst, sagt er einmal. Denn das Ehepaar Ludwig sammelt unermüdlich: Die Kunst der Azteken, barockes Porzellan, antike Plastiken, Buchmalerei des Mittelalters, Kunst aus Afrika, China, Kuba und dem Ostblock. Und natürlich zeitgenössische und moderne Kunst, die es möglichst vielen Menschen zugänglich machen will.
Machtmissbrauch mittels Kunst?
Rund 14.000 Werke trägt das Ehepaar Ludwig zusammen, der Wert ist unschätzbar. Die gesamte Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst wird 1976 auf 45 Millionen Mark taxiert. Heute geht schon ein einzelner früher Warhol bei Auktionen für mehr als das Doppelte weg. Doch im Gegensatz zu anderen Sammlern hat Ludwig seine "Schätze" nie als Geldanlage oder Spekulationsobjekte gesehen. "Kunst ist für mich Geschichtsdokument, sie hält fest, was Menschen in einem bestimmten Augenblick und in einer bestimmten Gemeinschaft fühlen und denken", sagt er einmal.
Und er behält die Kunst nicht für sich, sondern sammelt für die Öffentlichkeit. Das Erworbene gibt Ludwig Museen und Instituten - zu seinen Bedingungen. Das nennen Kritiker wie Bewunderer das "System Ludwig". So überlässt Ludwig einen Großteil seiner Pop-Art-Sammlung dem Kölner Wallraf-Richartz Museum als Leihgabe und verspricht zu schenken, wenn die Stadt sich zum Neubau eines Museums Ludwig entschließt. Das ruft Proteste hervor. Denn das Museum, das Köln vertragsgemäß neu baut und 1986 eröffnet, verschlingt Millionen. Doch dank der Stifter zählt Köln zur obersten Liga moderner Kunst.
Was in der Domstadt gelingt, funktioniert auch in anderen Städten: Aachen, Wien, Basel, Oberhausen. Saarlouis, Bamberg, Budapest, Koblenz, St. Petersburg und Peking - Ludwig verteilt seine Werke und seinen Namen in der ganzen Welt. Kritiker werfen ihm Machtmissbrauch mittels Kunst, Unersättlichkeit und Materialismus vor. Als die Ludwigs "ihrem" Kölner Museum Mitte der 90er Jahre weitere 90 Picasso-Bilder überlassen, muss erneut umgebaut werden, das Wallraf-Richartz-Museum zieht in ein neues Gebäude. Die Wiedereröffnung des umgebauten Museum Ludwigs 2001 erlebt der Stifter nicht mehr. Er stirbt am 22. Juli 1996 in Aachen an den Folgen eines Herzinfarktes.
Stand: 09.07.2015
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