Stichtag

4. März 1985 - Weinpanscher zu Haftstrafen verurteilt

Während der Verhandlung verrät der Vorsitzende Richter das lange Zeit gültige Rezept vieler Mosel-Winzer: "Man nehme 1.000 Liter Wein und einen 50-Liter-Kanister Flüssigzucker." In rund 2.600 Strafverfahren erlangen die Mitarbeiter einer speziell eingerichteten Weinstrafkammer am Mainzer Landgericht in den 80er Jahren einen tiefen Einblick in die Winzerszene. Und die nimmt es nicht so genau: Gepanscht, verschnitten, gezuckert und aromatisiert wird allen Unschuldsbeteuerungen und Gesetzen zum Trotz in vielen Betrieben.

Auch die Brüder Schmitt aus Longuich an der Mosel greifen zu diesen "kellertechnischen Verfeinerungen": Mit mehr als 600 Tonnen Zucker werten die Weinhändler ihre Abfüllungen auf und verfälschen so zwischen 1972 und 1980 rund zehn Millionen Liter Wein. Aus sauren Trauben werden viel einträglichere Spät- und Auslesen, sogar Trockenbeerenauslesen. Geschätzter Mehrgewinn für das Unternehmen Schmitt: zehn Millionen Mark. Am 4. März 1985 werden Heinzgünter und Gerd Schmitt im bis dahin größten deutschen Weinpanscher-Prozess zu fünf und vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Auf dem Zuckerskandal folgt das Glykol-Desaster

Auch andere deutsche Weingutbesitzer sind nicht besonders penibel, wenn es darum geht, ihre sauren Sorten an die Käufer zu bringen. Wasser, Zucker und billiger Importwein – aus diesen drei Ingredienzen mixt manche Kellerei ihre wohlfeilen Schlossabfüllungen. Von 1974 bis 1978 werden etwa im Anbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer um 13 Prozent und in Rheinhessen um zehn Prozent mehr Prädikatswein amtlich geprüft als überhaupt geerntet. Der Winzerverein Irsch an der Saar vertreibt das Fünfzehnfache des normalen Ertrags der berühmten Weinlage "Ockfener Bockstein". Der Kellermeister büßt die Panscherei mit zwei Jahren und zwei Monaten Haftstrafe.

Waren diese Betrügereien gesundheitlich noch unbedenklich, folgt nur wenige Monate nach der Urteilsverkündung gegen die Schmitt-Brüder der Super-GAU. Kontrolleure finden in österreichischen und später auch in deutschen Weinen, die mit österreichischen vermischt wurden, einen ganz besonderen Stoff: Diethylenglykol. Mit der süßen, öligen und giftigen Flüssigkeit werden normalerweise Flugzeuge enteist, Lacke verdünnt oder Raumluft desinfiziert. Listige Winzer machen mit dem Frostschutzmittel - das hoch dosiert für Menschen tödlich ist - aus billigem Massenwein einen profitablen Genießertropfen.

Auferstanden aus Glykol

Die Bürger sind empört. In den Untersuchungslabors stapeln sich Tausende Flaschen, die besorgten Weintrinkern nicht mehr geheuer sind. Eine Erklärung des Bundesgesundheitsministeriums, dass "eine akute gesundheitliche Gefährdung nicht zu befürchten ist", wird hämisch kommentiert und von den Konsumenten nicht geglaubt. Der Weinverkauf bricht ein, die deutsche Weinkultur erlebt ihren Tiefpunkt.

Doch der ist zugleich der Auftakt zu einer einer unvermuteten Erfolgsgeschichte: Eine neue Winzergeneration setzt Mitte der 80er Jahre auf Qualität statt auf süße Massenware. Vielen Konsumenten ist das Verlangen nach möglichst süßen Weinen vergangen, "trocken" ist angesagt. Zugleich wird der Höchstertrag pro Quadratmeter Ertragsfläche limitiert. "Damit haben wir den Grundstein gelegt, dass wir eben nicht mehr den Umweg über unerlaubte Methoden brauchen, um den Wein zu verbessern", erklärt Professor Ulrich Fischer vom Weincampus in Neustadt.

Weitere Gründe für den neuen Qualitätsgewinn: Die Winzer sind heute wesentlich besser ausgebildet und auch der Klimawandel spielt eine Rolle: "Denn er befähigt uns heute eigentlich in jedem Jahrgang voll ausgereifte Trauben zu erzeugen und das schlägt sich dann einfach in dichteren, aromareicheren, mehr die Rebsorte darstellenden Weinen wider", ist Fischer überzeugt. Und so sind Riesling, Müller-Thurgau und Dornfelder 30 Jahre nach dem Glykol-Skandal wieder weltweit geschätzt.

Stand: 04.03.2015

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