Im August 1839 bricht William Hobson, Kapitän der britischen Royal Navy, zu einer heiklen Mission in den Südpazifik auf. Am anderen Ende der Welt soll er einen Vertrag abschließen, der die Ureinwohner Neuseelands zu Untertanen der Krone Englands macht. Anders als die seit 70 Jahren kolonialisierten Aborigines Australiens sind die Maori bislang von der britischen Herrschaft verschont geblieben.
Zu abschreckend wirkten die Berichte von James Cook, der 1769 in Neuseeland gelandet war. Als grausig tätowierte Menschenfresser hatte der Weltumsegler die Maori beschrieben, als unwirtlich die Landschaft. Doch angesichts der miserablen wirtschaftlichen Lage Englands zu Anfang des 19. Jahrhunderts startet die 1825 in London gegründete New Zealand Company Unternehmungen, um "das Land der weißen Wolke", wie die Maori ihr Inselreich nennen, ebenfalls zu kolonialisieren.
Gleiche Rechte für Maori und Briten
Unzählige Wal- und Robbenfänger jagen damals vor den Küsten Australiens und Neuseelands. Einige siedeln sich unter den Maori an und bringen Feuerwaffen mit, was zu Massakern und Stammeskriegen führt. Deshalb, argumentiert die New Zealand Company, sei eine Kolonialisierung unumgänglich, um die Ureinwohner vor den Weißen zu schützen und für Recht und Ordnung zu sorgen. Ohne Beispiel in der Kolonialgeschichte ist eine zentrale Forderung der maßgeblich von Quäkern beeinflussten Company: Anders als in Australien soll die indigene Bevölkerung Neuseelands die gleichen Bürger- und Landrechte erhalten wie weiße Siedler.
Am 29. Januar 1840 geht Kapitän Hobson in der Bucht von Waitangi auf der Nordinsel Neuseelands vor Anker. Gemeinsam mit dem dort residierenden Vertreter Queen Victorias, den er als erster Gouverneur ablösen wird, formuliert Hobson binnen einer Woche den historischen Vertrag. Ein Missionar übersetzt den Text in Windeseile und legt ihn einer Versammlung von führenden Chiefs der Maori vor. Nach 24-stündiger Beratung unterzeichnen sie am 6. Februar 1840 die erste Verfassungsurkunde Neuseelands. In den folgenden Monaten erkennen insgesamt 500 Häuptlinge mit dem Vertrag von Waitangi die Oberhoheit der britischen Krone über die rund 120.000 Maori an.
Historischer Vertrag mit blutigen Folgen
Doch die garantierten Rechte der Ureinwohner werden von den anfangs etwa 2.000 britischen Siedlern kaum beachtet. So kommt es in den folgenden Jahrzehnten zu äußerst blutigen Kämpfen und Militäreinsätzen der Briten gegen die Maori. Als großes und lange nachwirkendes Problem erweist sich auch die Pflicht jedes Inselbewohners, Landansprüche registrieren zu lassen, was die wenigsten Maori befolgen. Sie verstehen den Sinn nicht, denn ihre Kultur kennt keinen persönlichen Grundbesitz, sondern nur die kollektive Landnutzung. So wächst die Zahl der Weißen in Neuseeland bis Ende des 19. Jahrhunderts auf 700.000 an. Von den ursprünglich 120.000 Maoris hat nur ein Drittel überlebt.
1907 erhält die sich parlamentarisch selbst verwaltende Kronkolonie den Status eines Dominion und wird damit faktisch unabhängig von Großbritannien. Rund 15 Prozent der Neuseeländer haben heute Maori-Wurzeln. Ihre Sprache ist neben Englisch offizielle Landessprache und der Haka, der traditionelle Tanz der Maori, steht in den Schulen auf dem Lehrplan. Die Rechte, um die die Ureinwohner nach dem Vertrag von 1840 betrogen wurden, können deren Nachfahren seit 1975 vor dem sogenannten Waitangi-Tribunal einklagen. Inzwischen sind die Wunden der Vergangenheit so weit verheilt, dass weiße und indigene Neuseeländer gemeinsam am 6. Februar den Waitangi Day, den Nationalfeiertag Neuseelands, begehen.
Stand: 06.02.2015
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