Kisten mit der Aufschrift "Obst und Gemüse" lädt Heinrich Schliemann am 15. Juni 1873 hastig auf sein Schiff, das an der türkischen Westküste liegt. Doch in den Kisten sind keine frischen Lebensmittel. Sie sind randvoll mit Gold: Diademe, Ohrringe, Stirn- und Armbänder. Dazu Perlen, Kelche, Becher und Silbervasen. Schliemann glaubt, den antiken Schatz des trojanischen Königs Priamos gefunden zu haben. Der soll nun schnell und unbemerkt außer Landes und nach Athen gebracht werden.
1822 in Mecklenburg geboren, erzählt ihm sein Vater als Kind von Homers "Ilias" und den Helden des Trojanischen Kriegs. Die Idee, das alte Troja wiederzufinden, begleitet Schliemann von da an sein ganzes Leben. Doch zunächst bringt er es als Kaufmann zu großem Reichtum. Als mehrfacher Millionär zieht er sich mit 46 Jahren aus dem Geschäft zurück und macht sich daran, seinen Traum zu erfüllen.
Homer als antiker Reiseführer
Mitte des 19. Jahrhunderts gilt Bunarbaschi unter Archäologen als Ort des mythischen Trojas. Dort, im Nordwesten der heutigen Türkei, macht Schliemann seine erste Grabung. Doch er bekommt Zweifel und studiert immer und immer wieder die "Ilias".
Darin steht, dass Hektor und Achilles in ihrem Kampf einen Hügel mehrfach umrundet haben. Das geht in Bunarbaschi gar nicht. Außerdem sollen die griechischen Krieger an einem Tag mehrfach zwischen ihren Booten und der Stadt hin und her gelaufen sein. Auch das ist in Bunarbaschi unmöglich. Schliemann nimmt Homer beim Wort und verortet Troja stattdessen auf dem Siedlungshügel Hissarlik, einige Kilometer flussabwärts - dank der Hilfe des britischen Diplomaten und ersten Troja-Ausgräbers Frank Calvert.
Mit seinen Arbeitern beginnt der Hobbyarchäologe dort die Ausgrabung. Um einen Überblick über die in Schichten abgelagerten Siedlungen zu gewinnen, schlägt Schliemann einen gewaltigen Graben quer durch den Hügel. Er stößt auf römische und griechische Reste. Je tiefer er kommt, desto älter werden die Spuren. Ganz unten vermutet er das Troja des Homer. Und tatsächlich: Nach drei Jahren findet er im Mai 1873 einen Schatz. Schliemann ist sich sicher: Es ist trojanisches Gold, das er nach Athen schmuggelt.
Schliemann gräbt an Troja vorbei
Dort macht er Fotos von seiner jungen griechischen Frau Sophia, behangen mit den Fundstücken aus Kleinasien. Ist es vielleicht sogar der Schmuck von Helena, der altgriechischen Sagenkönigin und Geliebten des trojanischen Prinzen Paris? Sophias Porträt und Schliemanns Name gehen um die Welt. Für ihn und viele andere ist klar: Schliemann hat Troja gefunden. Die Grabungen sind damit abgeschlossen.
Heute sind sich Archäologen zwar weitgehend einig, dass Troja dort tatsächlich gestanden hat. Doch der Schatz ist mindestens 1.000 Jahre älter als der sagenhafte Priamos. In seinem Eifer hat Schliemann zu tief gegraben und dabei vieles zerstört, was darüber liegt - inklusive wichtiger archäologischer Schichten.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Claudia Friedrich
Redaktion: Matti Hesse
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